Vier Aspekte eines solchen erweiterten Wissenskonzepts werden über künstlerische Praxisformen und Techniken besonders zugänglich:
Ästhetische Erfahrung und emotionales Wissen: Körpertechniken (wie Yoga, Tanz oder Theater) sensibilisieren für räumliche und leibliche Ordnungsstrukturen und Atmosphären in sozialen Umgebungen.
Handlungswissen: Beim Zeichnen, Schreiben oder in der Musik werden performativ Denkformen entwickelt, die sich der körperlichen Bewegung und dem Agieren im Raum verdanken. Diese folgen nicht der strengen Kausalität des propositionalen Denkens, sondern der Logik des Materials oder den Gesetzen eines Bewegungsrhythmus’.
Imaginations- und Kreativitätstechniken: Beim Filmen, Zeichnen, Entwerfen, Komponieren und Experimentieren mit Materialien werden Bilder, Symbole erfunden und Überraschendes, Unvorhergesehenes erzeugt, Assoziationen und Behauptungen werden aufgegriffen, verfolgt und spielerisch umgeformt.
Narratives Wissen: Beim Kennenlernen und Verstehen seiner selbst und anderer, beim Entwerfen und Erfinden von Identitäten, Situationen, Möglichkeiten des Handelns spielt das Erzählen die entscheidende Rolle: Wer sich und andere, wer die eigene Lage und die eigenen Chancen und Beschränkungen wirklich verstehen will, wird dafür Erzählungen brauchen. Die Zeitlichkeit des Erzählens erlaubt es, Erfahrungen im Verlauf zu verstehen, zu Formen und Möglichkeiten auszuloten.
Die Zeppelin Universität hat mit dem Format ‚Kreativität & Performanz‘ in einer langjährigen Entwicklungsphase ein für Deutschland bisher einzigartiges Lernformat geschaffen, das neueste Tendenzen im Verständnis von Forschung und Wissenschaft spiegelt.
Innerhalb der Lehrveranstaltung wählen die Studierenden zwei künstlerische Disziplinen aus, die ihren Interessen und Neigungen entsprechen. Begleitet von erfahrenen Künstlerinnen und Künstlern erproben sie die Schärfen und Unschärfen der Wahrnehmung. Auf experimentelle Weise erkunden sie ihr Umfeld. Zeichen und Zeichensysteme, Bilder und Narrationen werden Teil einer Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, die nicht als Darstellung, sondern als Konstruktion und Kritik erkennbar und mit dem eigenen Körper erfahren wird.
Das Labor für implizites und künstlerisches Wissen (LIKWI) ist eine Forschungseinrichtung, in der die erkenntnistheoretischen, ästhetischen und pädagogischen Aspekte der Lehrveranstaltung ‚Kreativität & Performanz‘ thematisiert und im Netzwerk mit anderen universitären Partnern erforscht werden. Das LIKWI ist an das Zentrum für Kulturproduktion angeschlossen. Einzelne Workshops münden in die Veranstaltungen des artsprogram.
Thematischer Schwerpunkt des Workshops im Fall Term 20: Apokalypse und Weltrettung
Im Rahmen des diesjährigen Jahresthemas 'Apokalypse und Weltrettung' richten die beiden Workshops von Margit Czenki und Immanuel Grosser ihren Blick auf gegenwärtige Endzeitszenarien und -narrative, mögliche Zukunftshorizonte sowie Ästhetiken damit einhergehender politischer Bewegungen.
Workshop Künstlerische Stadtforschung
Stadtraum und Apokalypse (Margit Czenki)
1498 fertigte Albrecht Dürer eine geniale Serie Holzschnitte an, die den jungen Künstler auf einen Schlag europaweit berühmt machte: Die Apokalypse des Evangelisten Johannes beschreibt den Untergang einer falschen Welt als verlustreichen Beginn einer neuen und besseren Ordnung. In Dürers Drucken ist die Strafe der verlogenen kirchlichen Würdenträger noch Fiktion, doch eine die kurz darauf auch in der Wirklichkeit die Kritik der Verhältnisse befeuert. Schließlich verknüpft sich die Apokalypse mit dem Wunsch nach Reform und mündet in die große Revolte der Deutschen Geschichte, dem Bauernkrieg.
Nach einem Inspirations-Input von Margit Czenki zum Thema, werden sie in diesem Workshop einen Ausflug in die Umgebung unternehmen, Fotos machen und am Ende zwei Bilder aussuchen: Eines mit einer Situation vor der Apokalypse – und Eines mit einer Situation danach. In einem kurzen Text beschreiben sie was passieren wird und was geschehen ist. Diese beiden Bilder und ihr Text zusammen ergeben das Werk.
Margit Czenki ist eine Filmemacherin und Künstlerin. Ihr Debut, der Spielfilm Komplizinnen (1987) wurde weltweit gezeigt und im Fernsehen ausgestrahlt. Mit dem kollektiven Projekt Park Fiction nahm sie 2002 an der documenta11 teil. 2003 kuratierte sie den Kongress Unlikely Encounters in Urban Space in Hamburg (mit Christoph Schäfer). Ebenfalls gemeinsam entstand die Arbeit Videotaxi im Jahr 2007, eine rollende Analyse der neoliberalen Stadtentwicklungspolitik Hamburgs. 2012 konzipierte Czenki gemeinsam mit Christoph Schäfer und quartiervier architekten die ContainerUni für die Zeppelin Universität Friedrichshafen. Als Gründungsmitglied des interdisziplinären Planungsteams PlanBude organisiert Czenki derzeit die Beteiligung an der Neuplanung der ESSO-Häuser auf St. Pauli und im September 2016 ko-kuratierte sie die Hamburger Sektion des Festival "Urbanize - Housing the Many - Stadt der Vielen" (mit "dérive - Zeitschrift für Stadtforschung", Wien). Mit dem Team von "FABRIC – Planung als Plattform" in Lörrach bei Basel, konzipiert und plant sie einen neuen Stadtteil.
http://margitczenki.net
http://containeruni.de
http://planbude.de
http://fabric.place
Workshop Raum & Selbst / Yoga & Bauen
Souveränität als Weltrettung (Immanuel Grosser)
Wenn Weltrettung und Hoffnung auf Emanzipation der Gesellschaft von ihren eigenen Zwängen immer mehr in die Ferne zu rücken scheint, stellt sich die Frage, wem der Sinn für das Richtige bzw. das Bewusstsein des Falschen nutzt? Adornos ethisch-politisches Postulat reformulierend, bliebe uns Michael Hirsch zufolge nichts anderes übrig als im Allgemeinen und Besonderen nach Spuren des richtigen Lebens im falschen zu suchen. Und zwar im Bewusstsein der Unmöglichkeit aber eben auch im Bewusstsein der Möglichkeit des Unmöglichen.
Eine gemeinsame alle verbindende friedliche Praxis zu finden schien unmöglich zu sein in den Zeiten des Kalten Krieges. Einer apokalyptischen Vision eines Atomkrieges folgend suchte der Yogameister Swami Vishnu Devananda nach einer Möglichkeit die Menschen von ihrem separatistischen Denken zu befreien und entwickelte die weltweit erste Yogalehrerausbildung. Damit setzte er eine globusumspannende Yogabewegung in Gang. Als Friedensaktivist überflog er in seinem popfarbenen peaceplane militärisch abgesicherte Grenzen (z.B. Belfast, Suez-Kanal, Jerusalem, Lahore oder Berliner Mauer) und „bombardierte“ Hauptkrisengebiete mit Blumen und Yogaschriften um die Einheit in Verschiedenheit (unity in diversity) und die individuelle Yogadisziplin als einen Mikrokosmos des globalen sozialen Wandels sichtbar zu machen. Die politisch engagierten Friedensbemühungen waren eine logische Fortsetzung des verinnerlichten Yoga. Die zentripetalen Kräfte, die durch Introspektion des Yoga mobilisiert werden, wirken in einem sozialdarwinistischen Klima zentrifugal. Denn die durch asketische Übungen erlangte Souveränität des Einzelnen ist keine auf Kosten der Gemeinschaft erzwungene Selbstermächtigung.
Während die ethische Frage nach dem richtigen Leben für das progressive Denken mit der Frage nach der richtigen Einrichtung der Gesellschaft zusammenfällt, stellt sich für den praxisorientierten Yogi die Frage nach der Bewertung des politischen Systems immer nur unmittelbar und in Kontakt mit dem Individuum. Eine gesellschaftliche Veränderung wird nur dann gelingen, wenn jeder Einzelne bereit ist seine persönlichen Grenzen zu überschreiten. Wenn ich ein Baumwolltuch in ein Seidentuch verwandeln möchte, geht es nur, wenn jeder einzelne Faden ausgewechselt wird.
Der Workshop gibt eine theoretische und praktische Einführung in die 4 klassischen Yogapfade. Dabei werden wir das implizite Ineinandergehen von Raum und Selbstwahrnehmung durch Introspektion und Observationsübungen schulen und einen kleinen persönlichen Zufluchtsort in Form eines farbigen Altars gestalten.
Benita und Immanuel Grosser entwickeln seit 1989 internationale Ausstellungen und Artyoga-Projekte. Neben Lehrveranstaltungen an verschiedenen Hochschulen, Staatstheatern und Museen bieten sie am Hamburger Bundesleistungszentrum und Olympiastützpunkt Coaching-Kurse an. In Hamburg betreiben sie Y8, einen Raum für Kunst und Yogapraxis. Dahinter steht ein transdisziplinäres Kollektiv von KünstlerInnen, DesignerInnen, ArchitektInnen und YogalehrerInnen. Das verbindende Element des Y8-Kollektivs ist die gemeinsame Yogapraxis. Y8 wurde 2000 mit der Intention gegründet, aktuelle Kunst und Yoga in ein produktives Spannungsverhältnis zu stellen. Im Y8-Kunstraum wird Yoga in internationalen Ausstellungsprojekten praktiziert und unterrichtet. Für die Artyoga-Projekte arbeitet das Kollektiv mit international anerkannten KünstlerInnen wie John Baldessari, Channa Horwitz, Gerwald Rockenschaub, Karin Sander und Lawrence Weiner zusammen. Im Zentrum der kontextspezifischen Artyoga-Projekte des Kollektivs steht die individuelle Raumerfahrung. Aus der künstlerischen Auseinandersetzung mit externen Faktoren entstehen ortsspezifische Installationen, die mit der Yogapraxis in einen Dialog treten.
https://www.artyoga.de/
Anna Artaker
Daniel Aschwanden
Markus Bader
Sandra Boeschenstein
Monika Cantieni
Margit Czenki
Friedemann Derschmidt
Barbara Eichhorn
Jerry Elliott
Dorothea Ferber
Werner Fritsch
Benita Grosser
Immanuel Grosser
Irene Hohenbüchler
Michael Kiedaisch
Alexander Keil
Barbara Kraus
Sylvi Kretzschmar
Axel Kufus
Jan Liesegang
Christina Linortner
Dominik Lutz
Andrew McNiven
Michael Müller
Christoph Schäfer
Stefanie Seufert
Raoul Schrott
Miriam Tag
Caique Tizzi
Das Labor für implizites und künstlerisches Wissen (LIKWI) versteht sich als experimentelle Lern- und Forschungswerkstatt für Studierende aller Fächergruppen. Es integriert gezielt körperliches, ästhetisches und emotionales Erfahrungswissen in die universitäre Lehre und Forschung. Das LIKWI ist an das Zentrum für Kulturproduktion angeschlossen.
Das artsprogram der Zeppelin Universität initiiert künstlerische Interventionen, Aufführungen, Ausstellungen und diskursive Formate und macht die Universität selbst zu einem Ort der Kunstproduktion. Es bietet eine Plattform für vielfältige künstlerische Aktivitäten und ermöglicht Studierenden erste kuratorische und künstlerische Erfahrungen. Eigeninitiierte Projekte, wie Performances, Chorauftritte und Konzerte werden vom artsprogram-Team begleitet und von KünstlerInnen betreut.
Weitere Informationen
Die derzeitigen Entwicklungen im Kulturbereich lassen erkennen, dass traditionelle Konzepte einer Kunst- und Kulturproduktion an ihre Grenzen stoßen: Die Konkurrenz durch private Akteure, ein verändertes Nutzungsverhalten seitens der Rezipienten sowie gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wie Migration und demografischer Wandel bringen Kulturinstitutionen unter Veränderungsdruck. Es gilt daher, die Künste in der gegenwärtigen Gesellschaft neu zu situieren und neue Formate, Praktiken und Distributionskanäle zu entwickeln. Die am Zentrum für Kulturproduktion behandelten aktuellen Fragen der Kulturproduktion betreffen deshalb die Strukturen, Ökonomien und Politiken, in denen zukünftige Kuratoren, Stadtentwickler, Festivalmacher, Intendanten und Entrepreneure im kulturellen Feld agieren.
Weitere Informationen
Tel: | +49 7541 6009-1361 |
Raum: | FAB 3 | 1.47 |
Tel: | +49 7541 6009-1311 |
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Tel: | +49 7541 6009-1316 |
Fax: | +49 7541 6009-1399 |
Raum: | FAB 3 | 1.48 |