25.04.2020

Erste Internationale Arbeitstagung „Cultural Policy Transformations: The Rise of Illiberalism“

Die erste internationale Arbeitstagung „Cultural Policy Transformations: The Rise of Illiberalism“ des Forschungsclusters „ACPT“, die am 5. bis 6. März 2020 an der Zeppelin Universität stattfand, markierte den Auftakt zur Entwicklung eines internationalen Forschungsprojekts. Die Tagung adressierte aktuelle Themen der internationalen Kulturpolitik, insbesondere die verstärkte Präsenz illiberaler, populistischer Regierungen, Parteien und Bewegungen. Gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern aus Dänemark, Deutschland, Israel, Norwegen, Österreich, Polen, Spanien, Serbien, der Türkei und den USA wurden nationale Situationen beleuchtet und vergleichend diskutiert. 


ACPT-Clusterteam und internationale Gäste

Die Diskussionen zeigten, dass die Forschung gefordert ist, ein differenzierteres Verständnis von Liberalismus und Illiberalismus, den jeweiligen Prägungen, Bedingungen und Zielen, wie auch den damit verbundenen expliziten wie impliziten kulturpolitischen Maßnahmen zu entwickeln. Traditionelle Verständnisse von staatlicher Kulturpolitik – mit gesetzlichen Rahmenbedingungen und finanziellen Zuwendungen, die die Autonomie der Künste eher unterstützten (in liberalen, wohlfahrtsstaatlichen, identitätspolitischen Varianten, mit Fokus auf Markt, Staat bzw. Zivilgesellschaft) – sind dabei zunehmend umstritten bzw. formieren sich als hybride Konzepte neu. Ebenso variieren die Reaktionen der Zivilgesellschaft zwischen Apathie, Kooperation, Opposition, Pragmatismus und Aktivismus. Welche Konsequenzen hat dies unter anderem für das Verhältnis von Kultur- und Demokratiepolitik und Governance? 


Eine zweite internationale Arbeitstagung mit zusätzlichen Gästen ist für Herbst 2020 an der Zeppelin Universität geplant.

Weitere Informationen zu den Vorträgen und nationalen Situationen

Tal Feder, Post Doctoral Fellow der Israel Science Foundation (ISF), diskutierte in seinem Vortrag am Beispiel von Israels „Loyality in Culture“ Gesetz, wie eine illiberale Logik die Rechtfertigungen von staatlichen Interventionen in den Kunst- und Kulturbereich zunehmend prägen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird dabei einer Loyalität gegenüber dem Staat untergeordnet. Wer staatliche Förderung bezieht, muss sich nach dieser Logik in den Dienst staatlicher Politik stellen und didaktische Aufgaben übernehmen. Kritische Kunst wird unter dieser Prämisse als „Aufstachelung“ der Öffentlichkeit verurteilt.

Banu Karaca, Fellow der Volkswagen-Stiftung am Forum Transregionale Studien, beleuchtete die Situation in der Türkei unter der Fragestellung, wie der Aufstieg autoritärer und rechter Politiken mit einem gezielten Angriff auf das kollektive kulturelle Gedächtnis verbunden ist. In der Türkei sind seit dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 nicht nur Künstler und Kunstinstitutionen zunehmend Zielscheibe juristischer Schikanen und Verfolgungen. Zur staatlich gelenkten Manipulation von Erinnerungsregimen werden auch Archive beschlagnahmt und Denkmäler und Statuen demontiert. Dennoch sieht den Versuch, staatliche „künstlerische Hegemonie“ zu übernehmen, als gescheitert an – der Kunst- und Kulturbetrieb sei resilient gegenüber diesen Maßnahmen.

Višnja Kisić und Goran Tomka vom UNESCO Chair in Cultural Policy and Management der Kunstuniversität Belgrad hinterfragten den auf einem normativen Verständnis beruhenden Grundsatz, das jede Investition in Kultur eine „gute“ Ausgabe sei. Anhand der serbischen Situation zeigten sie, wie der unabhängige Kunst- und Kultursektor unwillentlich zum Unterstützer des „Nationalen Kulturstrategie“ wurde. In einem zunehmend rechtspopulistischen politischen Klima stiegen die öffentlichen Investitionen in Kunst und Kultur, einhergehend mit Neubauten von Museen und Veranstaltungshäusern und einer erfolgreichen Kampagne Novi Sads als Europäische Kulturhauptstadt. Die Forderung von unabhängigen Kunst- und Kulturinitiativen, 1% des öffentlichen Budgets für den Sektor bereitzustellen, deckt sich mit der Nationalen Kulturstrategie. Diese zelebriert jedoch auch eine heroische, maskuline, nationalistische Kultur. Kisić und Tomka argumentierten, dass hier eine wesentlich kritischere Haltung gegenüber öffentlichen Kulturausgaben und eine Repolitisierung des Diskurses notwendig sei.

Claudia Steigerwald, Post-Doc der Zeppelin-Universität befasste sich mit Kultureller Bildung als kulturpolitischem Instrument. Sie verglich dabei die Narrative der soziokulturellen Wurzeln der kulturellen Bildung mit den Narrativen, die die rechtspopulistische Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) verwendet. Sie konstatierte zunächst eine Rückkehr bürgerlich-konservativer Begrifflichkeiten und marktorientierter Kreativitätsimperative, die über das Parteienspektrum hinweg für eine wachsende Aufmerksamkeit gegenüber dem Thema kulturelle Bildung, einhergehend mit steigenden Förderungen, gesorgt hätten. Die AfD nutze diese Aufmerksamkeit nun für eine Uminterpretation – einerseits, um eine aus ihrer Perspektive zunehmende kulturelle „Disorientierung“ junger Menschen aufgrund eines überhand nehmenden Liberalismus zu kritisieren, andererseits, um auf die Gefahr einer angebliche mediale „Manipulation“ Bezug zu nehmen. Dabei beziehen sich die Protagonisten der AfD unter anderem auf die Medienkritik Adornos und Horkheimers.

Marcin Poprawski, Forscher und Dozent an der Universität Posen, veranschaulichte anhand der Situation in Polen die tiefgreifenden Transformationen in Kultureinrichtungen aufgrund politischer Interventionen in den Bereichen Finanzierung, Personal und Programminhalte. Ähnlich wie in Serbien ist der zunehmende rechtskonservative politische Trend mit einem Ausbau und einer Investition in die kulturelle Infrastruktur verbunden. Dies geht jedoch einher mit einer Umdeutung von historischen Ereignissen zur Konstruktion der nationalen Geschichte. Ebenso manifestieren sich korrupte Strukturen. Personen, die auf Missstände hinweisen oder als politische Opponenten wahrgenommen werden, werden entlassen beziehungsweise bedroht.

Constance DeVereaux, Assoziierte Professorin und Direktorin des Masterprogramms in Arts Leadership and Cultural Management der University of Connecticut, reflektierte das Konzept und die Potentiale von kultureller Hybridität gegenüber dem kulturellen Essentialismus, der die gegenwärtige politische Rhetorik prägt. Kultureller Essentialismus zeige nicht nur in Form von nationalistischen, puristischen Prägungen, sondern auch in globalen Strategien, die kulturelle Homogenität über kommerziell ausgerichteten Tourismus und Kulturindustrien fördern. Demgegenüber gelte es, das Konzept der kulturellen Hybridität zu analysieren – fördert es künstlerischen Ausdruck und Kreativität oder ist es ein Mittel zur kulturellen Aneignung und damit zur Verwässerung kultureller Unterschiede? Haben wir die Bedeutung kultureller Hybridität vor allem im städtischen Umfeld bislang verkannt und wenn ja, welche Rolle sollte das Konzept in künftigen Überlegungen spielen?


Mariano Martín Zamorano, Forscher am Centre for the Study of Culture, Politics and Society (CECUPS), Universität Barcelona konstatierte einen Mangel an Forschung zu den kulturpolitischen Dimensionen rechtspopulistischer und illiberaler Regierungen. Dieser stehe in Kontrast zur politischen Aufmerksamkeit dieser Regierungen gegenüber dem Kunst- und Kulturbereich. Über eine vergleichende Analyse, die sich auf Polen, Brasilien und Ungarn bezieht, entwickelte er einen konzeptuellen Rahmen zu den Charakteristika sogenannter „hybrider illiberaler Regime“: Erstens, ein ausschließendes Kulturverständnis. Zweitens, die Implementierung konkreter rechtlicher, staatlicher und wirtschaftlicher Mechanismen zu seiner Durchsetzung, einschließlich indirekter Zensur, Stigmatisierung sozialer Gruppen oder Verfolgung von Künstlern. Drittens, die Etablierung von Ungleichheitsstrategien, die autoritäre kulturpolitische Maßnahmen im Sinne des „Volks“ gegenüber der „Elite“ rechtfertigen sollen.

Tobias Harding, Professor an der Universität Südostnorwegen, diskutierte Entwicklungen in der nordeuropäischen Kulturpolitik am Beispiel Schwedens. Hier war Kulturpolitik traditionell eng mit einer modernen Vision einer aufgeklärten, gebildeten Gesellschaft verbunden; garantiert durch den Wohlfahrtsstaat und unterstützt durch ein hohes Maß an Vertrauen in die Regierung und in die organisierte Zivilgesellschaft. Dieser gesellschaftliche Konsens ist zunehmend umstritten, etwa die staatliche Unterstützung für Immigrantenvereine, insbesondere muslimische Organisationen. Sowohl politisch linksorientiere als auch rechtskonservativ orientierte Parteien argumentieren, dass die Autonomie des Kunst- und Kultursektors bedroht sei – je nach Perspektive durch den freien Markt oder durch staatliche Regulierung. Von dieser Situation profitieren vor allem die rechtspopulistischen Schwedendemokraten, deren Kulturpolitik für eine exklusive Unterstützung einer schwedischen kulturellen Identität steht.

Aron Weigl, Direktor des Forschungsinstituts EDUCULT in Wien, bezog sich in seinem Vortrag auf rechtspopulistische Kulturpolitik in Österreich zwischen 2000-2006 und 2017-2019. Er betonte, dass es notwendig sei, zwischen unterschiedlichen Ausprägungen illiberaler Kulturpolitik zu unterscheiden. So werde das Argument eines freien Marktes oft verwendet, um gegen Minderheitenkulturen, kulturelle Vielfalt und kulturelle Eliten zu argumentieren. Auch Ignoranz und öffentlich vorgetragenes Desinteresse, gepaart mit Umverteilungen von Budgets seien implizite kulturpolitische Strategien. Weniger im expliziten kulturpolitischen Bereich als in anderen politischen Bereichen (wie Medien-, Bildungs-, und Migrationspolitik) werde entschieden, welche Kultur staatlich unterstützt wird. Weigl hob hervor, dass sich begünstigt durch ein föderalistisches System insbesondere kulturelle Zentren wie Wien als kulturelle Opposition positionieren können.

Nanna Kann-Rasmussen, Assoziierte Professorin an der Universität Kopenhagen, reflektierte das aktivistische Potential von Bibliotheken, Museen und Archiven. Die (Selbst)Wahrnehmung dieser Einrichtungen wandle sich von einer neutralen Position zu einer aktiven bzw. aktivistischen Rolle. Sie beschreibt zwei Typen von Aktivismus: Erstens die Ermöglichung von Aktivismus, indem Museen, Bibliotheken oder Archive zivilgesellschaftlichen Gruppen Räume oder öffentliche Plattformen zur Verfügung gestellt werden. Zweitens, als Museum, Bibliothek oder Archiv selbst aktivistisch zu werden – um vor allem auf diskursiver Ebene auf Missstände hinzuweisen. Diese zunehmend politische Rolle von Museen, Bibliotheken und Archiven ist laut Kann-Rasmussen nicht nur eine Reaktion auf wachsenden Illiberalismus, sondern auch auf andere gesellschaftliche Herausforderungen wie den Klimawandel oder den Umgang mit Geflohenen.

Anke Schad-Spindler, Post-Doc Forscherin am Forschungscluster Transformation der Kulturproduktion der Zeppelin-Universität, analysierte in ihrem Vortrag die Möglichkeiten und Grenzen zivilgesellschaftlicher bottom-up Ansätze in postsozialistischen Städten. Diese sind von einer rapiden Privatisierung öffentlichen Raumes, zunehmender sozialer Ungleichheit und politischer Spaltung geprägt. Dialog- und partizipationsorientierte Initiativen zur Stadtentwicklung sind daher einerseits sehr relevant, andererseits sehr schwierig umzusetzen. Eines der Dilemmata ist dabei, dass projektfinanzierte Initiativen mit zeitlichen Limitationen, hohem Erwartungsdruck und großem administrativen Aufwand konfrontiert sind. Zugleich können sie oft nur kleinräumlich agieren und benötigen Beständigkeit, um Vertrauen aufzubauen und Veränderungen gemeinsam mit den betroffenen BürgerInnen zu planen, zu realisieren und zu pflegen.

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