Eine Kooperation mit Stiftung Bourdieu und der Camera Austria
Gefördert von der Fränkel Stiftung, der Hypo-Kulturstiftung und der Sparkasse Bodensee
10 | 10 | 2019 – 30 | 10 | 2020
Anlässlich der Covid-Pandemie wird das Archivprojekt bis Ende Oktober verlängert und das ausgefallene Programm im Herbstsemester nachgeholt.
Die Gegenwart ist eine Epoche der Bilder. Blogger, Influencer und Algorithmen lenken den Blick und Social-Media-Plattformen sind zu den einflussreichsten globalen Unternehmen aufgestiegen. In Zeiten wie diesen gilt es insbesondere die Fotografie als Instrument der Gesellschaftsanalyse zurückzuerobern. Vor diesem Hintergrund und im Rahmen des Jahresthemas "Ökonomien der Sichtbarkeit" hat das artsprogram der Zeppelin Universität gemeinsam mit Stiftung Pierre Bourdieu und Camera Austria ein interaktives Archiv mit Fotografien des französischen Soziologen Pierre Bourdieu eingerichtet und bietet bis zum 10. Mai 2020 ein Veranstaltungsprogramm zur visuellen Soziologie und Fragen der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit.
Das Archiv enthält die gesamten überlieferten Fotografien, die Pierre Bourdieu, der zu den einflussreichsten Soziologen der Nachkriegszeit zählt, im Rahmen seiner frühen Feldstudien angefertigt hat. Erstmalig werden die überwiegend unveröffentlichten Bilder des Soziologen nun in diesem interaktiven Archiv in ihrer Gesamtheit zugänglich sein. Über ein dreiviertel Jahr hinweg können aus diesem Fundus von 1153 Fotografien Themengruppen eruiert, zusammengestellt und in wechselnden Konstellationen gezeigt werden.
Zu diesem Zweck wurde der Ausstellungs- und Projektraum White Box an der ZU von dem experimentellen Designer-Team Kooperative für Darstellungspolitik in eine Lese-, Arbeits- und Archivsituation verwandelt, die der Öffentlichkeit als Studierzimmer bereitgestellt wird. Hier werden neben dem Bildarchiv, Videos und eine kleine Fachbibliothek verfügbar gemacht.
Für Bourdieu war die Fotografie ein wichtiges Arbeitsinstrument – sowohl zur Entwicklung theoretischer Forschungsansätze wie auch für die empirische Analyse der sozialen Welt. Die Fotografien des Soziologen lassen dabei das beispielhafte Bemühen erkennen, die sozialen Verhältnisse und die Menschen, die er fotografierte, nicht zu verdinglichen, sondern ihnen beobachtend zu begegnen und dabei Ordnungsprinzipien nachzuspüren.
In dem interaktiven Archiv gilt es sich nun seinem soziologischen Arbeitsbesteck experimentell zu nähern. Dabei werden unterschiedliche Konstellationen erprobt, um besser zu verstehen, wie Bourdieu mit den Mitteln der Fotografie gesellschaftliche Strukturen, Machtverhältnisse und spezifische kulturell bedingte Habitus sichtbar zu machen suchte.
Pierre Bourdieu wurde 1930 in Denguin in den französischen Pyrenäen geboren, gestorben ist er 2002 in Paris. Auf sein Studium der Philosophie und Ethnologie folgte ein Forschungsaufenthalt in Algerien von 1958 bis 1960, wo Bourdieu Studien über das Berbervolk der Kabylen betrieb und dabei seinen eigenen theoretischen Ansatz entwickelte. 1964 wurde er als Professor an die École Pratique des Hautes Études in Paris berufen; 1982 schloss sich seine Berufung an das renommierte Collège de France auf den Lehrstuhl für Soziologie an. Pierre Bourdieu analysierte die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und Strukturen sozialer Ungleichheit sowie deren
Einfluss auf die Herausbildung subjektiver Denk- und Handlungsmuster. Er beschrieb den individuellen „Habitus“ eines Menschen (z.B. Geschmack, Sprache, Konsumverhalten) als unbewusste Verinnerlichung strukturell vorgegebener, klassen-spezifischer Verhaltensmuster.
Die Kooperative für Darstellungspolitik, bestehend aus Andreas Müller, Jesko Fezer und Anita Kaspar, erzeugen durch Ausstellungsarchitekturen diskursive Räume. Die drei Architekt*innen sind ehemalige Redakteure der Zeitschrift „An Architektur“ und lehren Experimental Design, Urban Development und Exhibition Design an verschiedenen Universitäten. Sie arbeiten seit 2008 in ihrem Studio für Ausstellungsdesign zusammen. In ihrer Arbeit geht es um eine räumliche Organisation des Sehverhaltens. Diese räumliche Organisation des Sehens wird gleichermaßen als Recherchemethode wie auch als Beitrag zur Stiftung öffentlicher Debatten verstanden. Als letzte größere Arbeit haben sie den Deutschen Pavillon auf der diesjährigen Venedig Biennale gestaltet, der von der Künstlerin Natascha Süder Happelmann bespielt wurde.
Projektverantwortliche
Prof. Dr. Karen van den Berg | Akademische Sprecherin des artsprogram der ZU | karen.vandenberg@zu.de
Ulrike Shepherd | Kuratorin des artsprogram der ZU | ulrike.shepherd@zu.de
Prof. Dr. Franz Schultheis | Seniorprofessur für Soziologie des Kunstfeldes und der Kreativwirtschaft
Kooperationspartner
Das Projekt ist eine Kooperation des artsprogram der ZU mit der Stiftung Pierre Bourdieu, Kreuzlingen und der Camera Austria, Graz.
Geöffnet zu Veranstaltungen und auf Anfrage
Besichtigungen sind mit Beginn des Herbstsemesters ab September möglich.
Telefon: 07541 6009 1302
Email: artsprogram@zeppelin-university.net
Bilder:
1. Galerie:
Pierre Bourdieu, Marabout in der Region Oran, R 082. Archiv Pierre Bourdieu, Images d’Algérie, 1958 – 1961. © Fondation Bourdieu, Kreuzlingen, CH. Courtesy Camera Austria, Graz, A.
Pierre Bourdieu, Ohne Titel, R 001. Archiv Pierre Bourdieu, Images d’Algérie, 1958 – 1961. © Fondation Bourdieu, Kreuzlingen, CH. Courtesy Camera Austria, Graz, A.
Pierre Bourdieu, Schwefelung der Weinstöcke, Ebene der Mitidja. Titelbild des Buches Travail et travailleurs en Algérie. N 048 / 262. Archiv Pierre Bourdieu, Images d’Algérie, 1958 – 1961. © Fondation Bourdieu, Kreuzlingen, CH. Courtesy Camera Austria,
Graz, A.
2. Galerie:
Interaktives Archiv, Kooperative für Darstellungspolitik, Installationsansicht, Zeppelin Universität, 2019/20, Fotos: Karen van den Berg