Ein sozial-integratives Kunstprojekt mit Anne-Laure Gestering von raumlaborberlin, Margit Czenki & Gintersdorfer/Klaßen
Seit Dezember 2015 befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen „Container Universität“ der Zeppelin Universität eine Gemeinschaftsunterkunft für geflüchtete Menschen. Wie verhält sich eine Universität als Nachbarin in diesem speziellen Kontext? Was können die Künste zu einer Annäherung an die Themen Flucht, Migration und Ankommen beitragen?
Mit dem auf vier Monate angelegten Projekt Learning Community verwandelten das artsprogram der Zeppelin Universität und die studentische Initiative welt_raum die "White Box" in einen künstlerischen Begegnungsort mit Modellcharakter. Basierend auf Workshops mit Architekt*innen und Künstler*innen, wöchentlichen Treffen und Veranstaltungen, erprobten und lebten dort Studierende, Geflüchtete, ZU-Mitarbeiter und Gäste zusammen Gemeinschaft. Ziel von "Learning Community" war es künstlerisch inspirierte Strategien für neue Formen des Zusammenlebens in einer interkulturellen Gesellschaft zu erarbeiten.
Die künstlerischen Workshops
Die Einrichtung des Ausstellungsraumes zum multifunktionalen Begegnungsort entfolgte in einem Holzbau-, Filz- und Nähworkshop mit der Architektin Anne-Laure Gestering von „raumlaborberlin“. Der Workshop verstand sich als eine Einladung, mitzumachen und sich dabei kennenzulernen. Vom Bau und Aufbau der Möbel bis zur Belebung des Ortes wurde so jeder Schritt gemeinsam gestaltet. Grundlage des Designs war ein Modul, das in seinen unterschiedlichen Kombinationen stets neue Situationen kreieren und das auf wechselnde Bedürfnisse flexibel reagieren konnte.
Ein späterer zweiter Workshop mit Anne-Laure Gestering schloss wiederum an ihre Erfahrungen aus der Projektkoordinatorin des Garten-Bau-Projektes „Die Gärtnerei“ an, einer Initiative mit Geflohenen und Anwohner*innen in Berlin Kreuzberg. In dem zweitägigen “Urban Gardening“-Workshop wurde mit den Bewohnern der Gemeinschaftsunterkunft der kahle Außenbereich durch den Bau und die Bepflanzung von Hochbeeten belebt.
Tragbare, vernetzte Geräte wie Smartphones spielten in dem Film-Workshop der in Hamburg lebenden Künstlerin und Filmemacherin Margit Czenki eine zentrale Rolle. Im Mittelpunkt ihre Seminars zu „Mobile Technologien, Migration und Bildproduktion“ standen die „Schätze“ auf den Smartphones – der persönlichen Erinnerung dienende und von daher wertvolle Film-, Foto- und Tonaufnahmen sowie die daraus entstehenden Gespräche und Reflexionen. Die Ergebnisse wurden in Form filmischer Collagen im April 2016 in der „White Box“ und bei dem Kooperationspartner in der Galerie Bodenseekreis präsentiert. Margit Czenki kann im Hinblick auf die Projekte “ParkFiction“ und „PlanBude“ auf langjährige Erfahrungen im Bereich künstlerischer, partizipativer Planungsprozesse in der ‘Recht auf Stadt’-Bewegung zurückgreifen.
Mit dem Tanz-Workshop der Gruppe Gintersdorfer/Klaßen wurde eine Auseinandersetzung mit den Themen Flucht und Gemeinschaftsbildung über körperliche Ausdrucksformen und Diskurs möglich. Das Performance-Kollektiv, das seit Jahren Garant für scharfsinnige und herausfordernde Theaterarbeiten ist, stellte aktuelle europäische Philosophie-Konzepte zum Thema Migration auf den Prüfstand. So setzten sich Gintersdorfer/Klaßen in „Identitäten dehnen“ (2014) anhand des gleichnamigen Konzepts des französischen Philosophen Alain Badiou performativ mit den Themen Migration, politischer Protest und Instrumentalisierung von Geflüchteten auseinander.
Vorträge / Events
Zum Auftakt des Projektes fand bereits im November 2015 eine Lesung des Buches „Neue Heimat. Wie Flüchtlinge uns zu besseren Nachbarn machen” statt. Die in Berlin lebende Weißrussin Marina Naprushkina beschreibt darin ihre Erfahrungen aus ihrer Arbeit in der Berliner Initiative „Neue Nachbarschaft // Moabit“.
Zusammen mit dem “Club of International Politics“ wurde der Stadtplaner Werner Schellenberg nach Friedrichshafen eingeladen, der über seine Arbeit als Planer und Berater von Flüchtlingscamps für die UNHRC auf der ganzen Welt berichtete und somit eine größere Perspektive einbringen konnte.
Gemeinsam mit dem Kulturamt Bodenseekreis veranstaltete “Learning Community“ unter dem Titel „Neu[seh]land - Geschichten von Flucht und Ankommen“ eine Podiumsdiskussion zum Status quo der Arbeit mit Geflohenen im Landkreis sowie eine Lesung mit Katrin Seglitz. Die Gesprächsrunde bestand aus
Lothar Wölfle, Landrat des Bodenseekreises, Ramin Moin, Heimleiter der Gemeinschaftsunterkunft Fallenbrunnen, Katrin Seglitz, Schriftstellerin, Karam Sharbat, Zahnarzt aus Syrien, und dem Moderator Patrick Lühlow von der Initiative welt_raum.
Auch die Frage nach geeignetem Wohnraum für Geflohene und die Organisation des Zusammenlebens in der Stadt stand im Fokus. In Kooperation mit der Architektenkammer Baden-Württemberg wurde dafür der Architekt Herwig Spiegel vom Wiener Architekturbüro Alles wird Gut Architekten. zu einem Vortrag eingeladen.
In einer weiteren Abendveranstaltung berichtete die Menschenrechtsaktivistin Napuli Paul Görlich von ihren Erfahrungen als Aktivistin und ihrem politischen Kampf. Die Südsudanesin gehört zu den Performer*innen von “Identitäten dehnen” und ist Teil der Berliner Oranienplatz-Bewegung, die von 2012-14 gegen die Unterbringung in Heimen, Abschiebungen, das Arbeitsverbot und die Residenzpflicht protestierte.
Das Wochenprogramm
Während der Öffnungszeiten der “White Box“ fand in der so genannten „Open Tea Time“ ein flexibles Wochenprogramm mit den Formaten „Frauen-Frühstück“, „Kindernachmittag“, „Theater für Kinder“,„Sprachcafé“, “Transcultural Kitchen“ und „Sprechstunde“ statt.
Projekt-Team
Künstlerische Leitung: Caroline Brendel und Luzi Gross, Absolventinnen des Master-Studiengangs Communication & Cultural Management der ZU
Leitung artsprogram: Ulrike Shepherd, Kuratorin des artsprogram der ZU
Prof Dr Karen van den Berg, Wissenschaftliche Leiterin des artsprogram
Leitung welt_raum: Patrick Lühlow und Tim Schleicher, Studierende der Zeppelin Universität
Partner und Förderer
Architektenkammer Baden-Württemberg, Kulturamt Bodenseekreis, Club of International Politics, Student Lounge der ZU, Zeppelin Universität, Zeppelin Universitätsgesellschaft (ZUG).
Der Ausstellungsraum White Box wird durch die Fränkel-Stiftung in Form einer Raumpatenschaft und einer regelmäßigen Unterstützung des Ausstellungsprogramms gefördert.
Weitere Informationen zum Projekt finden Sie hier.