Krisen der Realität

Krisen der Realität sind schon häufig ausgerufen worden – von den Avantgarden der Moderne, von den Existentialisten, von der Postmoderne und ihren radikalen Konstruktivismen und Dekonstruktionen. Doch waren diese von der jeweiligen Bewegung selbst ausgerufene, in den meisten Fällen sogar gewünschte Krisen: Es waren Krisen, die eher von einer Macht und Dominanz der Realismen ihrer jeweiligen Zeit zeugten. Gegenwärtig aber verweisen die Theoriedebatten vom New Realism bis zum Spekulativen Realismus eher auf das Anliegen, das Konzept der Realität als solches wahren zu wollen. Dass dies notwendig ist, hat mit einer anderen, dieses Mal nicht ausgerufenen, sondern vorgefundenen Krise zu tun. Die gegenwärtige Realitätskrise scheint sich also von den vorausgegangenen zu unterscheiden – worin aber besteht dieser Unterschied genau? Diese Frage ist nur interdisziplinär zu beantworten, denn die gegenwärtige Krise entstammt nicht nur einem ‚Zeitgeist‘ sondern Veränderungen im kulturellen, wirtschaftlichen, soziopolitischen und psychologischen Gefüge. Und da die Künste schon seit dem Aufkommen des Realitätsbegriffs ein besonderes Verhältnis zur Realität pflegten, eignen sie sich in besonderem Maße, um Realitätskrisen beobachtbar, wahrnehmbar und beschreibbar zu machen.

Das artsprogram und die Lehrstühle für Kulturtheorie und Kunsttheorie der Zeppelin Universität initiierten eine Reihe von interdisziplinär angelegten wissenschaftlichen und künstlerischen Veranstaltungen, die sich mit den gegenwärtigen Krisen der Realität auseinandersetzen. Dies geschah durch ein Symposium, einer öffentlichen Ringvorlesung sowie zwei Ausstellungen im universitären Ausstellungsraum der "White Box".

Im Rahmen eines Symposiums tauschten VertreterInnen aus Wirtschafts-, Kultur- und Medienwissenschaften, der Philosophie und der Künste ihre Sicht auf die Krisen der Realität aus. Durch den Einbezug von Beispielen aus Literatur und Bildender Kunst sollte Licht auf Fragen geworfen werden wie: Inwiefern ist unsere Informationsgesellschaft keine Realitätsgesellschaft mehr? Welche Medien setzen die Realität aufs Spiel oder außer Kraft? Was setzen sie an ihre Stelle? Sind die Konzepte der Simulation und der Virtualität vielleicht zu früh beschrieben worden, um gegenwärtigen Figurationen gerecht zu werden? Hatten diese Theorien vielleicht Anteil an der gegenwärtigen Krise der Realität? Welche Rolle spielen die diversen künstlichen Intelligenzen? Welche politischen Konsequenzen zeitigt die gegenwärtige Krise der Realität? Kann man auf die Realität oder zumindest ihren Begriff verzichten? Und wenn ja: was tritt an ihre oder seine Stelle?

Begleitet wurde das Symposium von zwei Kunst- und Ausstellungsprojekten mit Begleitprogramm. Der Künstler Christopher Kulendran Thomas arbeitet seit 2016 mit einem interdisziplinären Team an dem modellhaften Projekt „New Eelam“, das Identität jenseits von staatsbürgerlicher Zugehörigkeit oder festem Wohnsitz zu entwickeln sucht. In der White Box richtete New Eelam ein temporäres künstlerisches Projektbüro ein, in dem ein Team von Technologie- und Immobilienspezialisten, Designern und Studierenden an einem spekulativen Projekt zur radikalen Flexibilisierung des Lebens arbeitet und Fragen nach globalen nomadischen Lebensformen reflektierte und weiterentwickelte. Das Londoner Kollektiv Forensic Architecture (FA) um den israelischen Architekten Eyal Weizman zeigte in der Ausstellung „Archaeology of the Present – Memory, Media, Matter“ eine speziell für die Zeppelin Universität entwickelte Präsentation drei jüngerer Arbeiten.

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