„Man sieht sich...“
Dieser Satz wird meist leicht dahin gesagt – im neuen Campusgebäude der Zeppelin Universität in Friedrichshafen aber ist er Konzept. Informelle Begegnungen an Orten, die den gemeinsamen Diskurs fördern, sind für die erst 2003 gegründete private Stiftungsuniversität der Schlüssel zu einer erfolgreichen Lehre.
Mit der Entscheidung, die schon 2010 dringend erforderliche räumliche Erweiterung der Universität in eine Flakkaserne aus dem zweiten Welt- krieg zu integrieren, wurde der viel gepriesene Pioniergeist der ZU vor eine neue Herausforderung gestellt. Im Kontext einer für den militärischen Drill geschaffenen Architektur neue universitäre Räume zu schaffen, die - so die Auslobung - die „offene, anregende, Eigeninitiative weckende, Vernetzung und Kommunikation fördernde Haltung der Universität als geistigen Raum wiederspiegeln“ sollen - erscheint auf den ersten Blick als Widerspruch in sich.
Im eingeladenen Wettbewerb schlugen as-if Architekten aus Berlin vor, den früheren Kasernenhof mit einer zweigeschossigen Plattform zu überbauen und das rigide Korridorsystem der u-förmigen Kaserne in ein komplexes Wegenetz einzubinden. Die kleinteilige räumliche Struktur des Altbaus wurde dabei weitgehend beibehalten. Die Ebenen der neuen Hofüberbauung sind dagegen als fließendes Raumkontinuum konzipiert. Hier sorgen eingeschnittene Patios, Lufträume, Oberlichter und Glasfassaden für Tageslicht und – trotz der realen räumlichen Enge im ehemaligen Kasernenhof - für ein Gefühl von Weite.
Fotos (rechts): Andreas Mechsner
Text: as-if Architekten
Eingestellte Körper gliedern die Neubauflächen so, dass sich die Bewegungszonen immer wieder zu größeren Raumnischen aufweiten. Diese offenen „Zwischenräume“ bilden den eigentlichen Kern des Funktionsprinzips des Gebäudes: sie können durch Vorhänge variabel definiert und flexibel bespielt werden. Vorhänge steuern auch die Transparenz der
großen Fensterflächen, die die Wände der eingestellten Körper durchlässig machen. Die Räume fließen optisch ineinander, Blickverbindungen reichen weit in die Gebäudetiefe hinein, große Treppenanlagen stellen gleitende Übergänge zwischen den Ebenen her. Die Außenhülle des Gebäudes wird als Raumbegrenzung mitunter „aufgelöst““, wenn sich beispielsweise die verzinkte Stahlblechfassade ins Foyer hineinwickelt, die Außensitzstufen des Vorplatzes die Forumsfassade durchdringen oder das Holzdeck der Dachterrasse im Parkettbelag der Innenräume weiter läuft. Solche Details tragen entscheidend dazu bei, den gesamten Neubau als einen einzigen gemeinsamen Raum zu erleben.
Funktional ist der Gebäudekomplex klar gegliedert. Vom dreiseitig umschlossenen Vorplatz kommend trifft man im Foyer des Neubaus zunächst auf die signalrote Empfangstheke. Weiter geradeaus blickt man in die Bibliothek mit Freihandbereich und Lesesälen. Linker Hand befinden sich die Mensa mit Espressobar und Essensausgabe und weiter nördlich im dreigeschossigen Kopfbau das „Forum“ – der große zentral ausgerichtete Vortrags- und Versammlungsraum der Universität, der sich mit seinen Sitzstufen der Topographie folgend in den Hang schmiegt. Die oberen Ebenen des Neubaus sind als Seminarbereich ausgelegt. Hier wechseln sich geschlos- sene Seminarräume mit offenen Lerninseln in den „Zwischenräumen“ ab. letztere nur als Raumnischen definierte Bereiche dienen dem freien Lernen und werden von den Studierenden regelmäßig mit Projektinstallationen bespielt. Auf Dach des Neubaus findet sich ein Freiluft-Seminarbereich. In das mächtige Altbaudach eingebettet erstreckt sich hier ein weitläufiges Holzdeck, das durch Hochbeete gegliedert wird. Sechs große Dachgaupen, aus der Geometrie des Neubaus heraus entwickelt, lehnen sich gegen das Altbaudach. Sie belichten die großen im Dachgeschoss der Kaserne untergebrachten Seminarräume und öffnen diese räumlich zur Dachterrasse.
Kleinteilige Programmpunkte wie Verwaltungsbüros, Lehrstühle und Be- sprechungsräume wurden im Erd- und Obergeschoss des Altbaus angeordnet wo sie sich optimal in die bestehende Gebäudesubstanz einfügen. Lediglich die ehemals unwirtliche Tordurchfahrt, die den ZU-Campus mit dem westlichen Kasernengelände verbindet, erfuhr einen massiven Eingriff: Hier öffnet sich nun ein großes Schaufenster zum öffentlichen Durchgang und gibt Einblick in die Ausstellungen des artsprogram der Zeppelin Universität.
Das Universitätsgebäude ist rund um die Uhr geöffnet, gearbeitet wird immer und überall. Nach Vorstellung der ZU sollen die Studierenden ihr Haus dabei wirklich benutzen und die Freiheit haben, ihre Ideen durch die Bespielung der Räume auszudrücken und zu kommunizieren. Voraussetzung dafür ist, dass das Gebäude nicht „unnahbar“ wirkt, sondern zur Veränderung auffordert - es soll einen Werkstattcharakter ausstrahlen! Dieser wird vor allem durch die verwendeten Materialien vermittelt: Sichtestrich, rohe Betondecken und -wände signalisieren Robustheit. Holzoberflächen auf Treppen und Fensterbänken wirken solide und laden zum Draufsetzen ein. Die meisten Wände des Neubaus wurden mit schwarzer Wandtafelfarbe gestrichen. Darauf entstehen nun – oft in Gemeinschaftsarbeit
- Schaubilder, Grafiken und manche kunstvolle Eventankündigung, die mit etwas Glück eine Lebensdauer von mehreren Wochen erreichen können. Solche Aneignungsprozesse finden überall statt - und die Zwischenräume in der oberen Neubauebene bieten zusätzlich Platz für die temporäre Installation von Projektarbeiten.
Auch die Fassade des Neubaus folgt dem Ansatz der Robustheit und Veränderbarkeit: Die verzinkten 3 mm dicken Stahlblechplatten - auch Referenz an den industriellen Kontext des Ortes - setzen mit ihrer lebhaften Oberfläche über die Zeit Patina an. Dieses Bekenntnis zur Sichtbarkeit von Alterungsprozessen verweist auch auf den Umgang mit der vorhandenen Bausubstanz der Kaserne, die weit gehend bewahrt wurde. Der Erhalt des alten Dachstuhls und der filigranen Geschossdecken stellten dabei besondere Herausforderungen dar. Dem engagierten Einsatz der Planungsbeteiligten ist es zu verdanken, dass viele Merkmale der militärischen Anlage wie der alte Fliesenboden in Treppenhäusern und Fluren, die Treppengeländer, einige Gewehrnischen u.a. noch vorhanden sind und den ehemaligen Kasernencharakter erahnen lassen. In letzter Konsequenz wurden auch
die Altbaufassade mit Schleppputz, Traufgesims und Putztaschen - durch den silberfarbenen Anstrich verfremdet und mit der Neubaufassade in Beziehung gesetzt – sowie die ursprüngliche, inzwischen oft geflickte Biberschwanz-Dachdeckung erhalten. Die äußere Erscheinung des Gebäu- dekomplexes bildet in ihrer Gesamtheit nun mehrere zeitliche Schichten deutlich ab – und bietet Anlass zur notwendigen und wichtigen Auseinandersetzung mit der Historie des Kasernen-Standortes.
Der bewusst zurückhaltende Umgang der Architektur mit Materialien und Farben soll Spielraum für zukünftige Entwicklungen lassen – genutzt wurde dieser bereits durch den Künstler Harald F. Müller, dessen Farbinterventionen in den vier Altbau-Treppenhäusern starke Setzungen hinterlassen haben: Die Räume werden durch die kraftvolle Farbfassung individualisiert. Das hilft bei der Orientierung in den gleichförmigen Kasernenfluren. Die mangangrauen Decken weiten den Raum nach oben aus und dekonstruieren ihn in seiner Massivität.
Auch im Bereich der Außenanlagen wurden künstlerische Akzente gesetzt: Die „Fliegenden Gärten“ des atelier le balto besiedeln die Patios, den Vorplatz und wandern weiter in das umgebende üppig bewachsene Gelände hinaus – in Richtung des eindrucksvollen 30er-Jahre Heizhauses von Rolf Gutbrod, das demnächst zur Zentralmensa des Uni-Standortes Fallenbrunnen ausgebaut werden soll.
Der neue Campus ist gleichermaßen ein Ort des konzentrierten Lehrens, Lernens und Arbeitens geworden wie ein offener, kreativer Co-Working-Space. Die Raumgeometrien fördern eher diskursive Seminarformen und GruppenarbeitsSituationen als den Frontalunterricht und erzeugen immer wieder informelle Lernorte. Entstanden sind Raumfolgen mit einladenden Durchblicken und Übergängen, die Altbau und Neubau vielfach ineinander greifen lassen und die Gebäude mit der umgebenden Landschaft verbinden.
Text: as-if Architekten
Der Um- und Erweiterungsbau des früheren Kasernenareals im Fallenbrunnen 3 durch die Berliner Architekten wurde vom Deutschen Architekturmuseum (DAM) im Rahmen des DAM-Preises für Architektur in Deutschland 2018 als eines von vier herausragenden neuen Bauwerken in Deutschland prämiert und von der Deutschen Universitätsstiftung mit dem Deutschen Hochschulbaupreis 2018 bedacht worden.
Mit einem Festakt hat die Zeppelin Universität die Auszeichnung ihres ZF Campus mit den beiden Baupreisen gefeiert.