Echte Probleme halten sich nicht an die Grenzen wissenschaftlicher Disziplinen.
Der Lehrstuhl beschäftigt sich in Forschung und Lehre mit einem breiten Themenfeld, das sich rund um die Produktion und Rezeption von „Kunst und Kultur“ zentriert: Den Kulturbesuchern und dem ästhetischen Erleben – disziplinär verortet in der Kultursoziologie und der Kunstpsychologie; der Produktion von künstlerischen Angeboten – hier kommen organisationssoziologische, ästhetische und inszenatorische/dramaturgische Aspekte zum Tragen; sowie der Kulturfinanzierung und der Legitimation dieser – also Fragen der Kulturpolitik. Warum fördert der Staat, wie, und welche „Kultur“?
Aufgrund dieser Vielfalt bedient sich der Lehrstuhl des in den jeweiligen Bezugsdisziplinen relevanten Theorieangebotes. Dies ist weniger als Eklektizismus zu verstehen, als vielmehr als Anerkennung der Ausdifferenzierung der Wissenschaften sowie als Interesse an anderen Wissensbeständen und Forschungskulturen. Die Arbeit am Lehrstuhl ist grundsätzlich problemorientiert. Damit geht zwangsläufig eine inter- und transdisziplinäre Ausrichtung einher, die sich in der Einbindung von externen Partnern in Lehre und Forschung zeigt.
Wichtige Themen in Forschung und Lehre sind:
Warum sind klassische Konzerte oft so langweilig?
Diese Frage stellen sich Konzertveranstalter leider selten. Der Lehrstuhl untersucht das Konzert auf seine dramaturgischen, ästhetischen, performativen, sozialen und ökonomischen Parameter hin und fragt danach, wie die klassische Form zeitgemäß erneuert werden kann. „Man muss das Konzert verändern, um es zu erhalten“ – so die Prämisse. Dazu etabliert der Lehrstuhl in Theorie und Praxis das Forschungsfeld „concert studies“ (analog zu den „museum studies“) und liefert damit einen Beitrag zur Kulturform Konzert.
Am Lehrstuhl angesiedelt ist aktuell das von der VolkswagenStiftung „Offen für Außergewöhnliches“ geförderte Forschungsprojekt „ECR – Experimental Concert Research“. Das Projekt untersucht die Wirkung verschiedener Präsentationsformate am Beispiel des klassischen Konzertes.
Das klassische Konzert ist ein hochentwickeltes Format von Performance und Rezeption. Welche Parameter dieses hoch ritualisierten Ablaufs aber sind zentral für das Konzerterleben und die Immersion, welche sind irrelevant und welche vielleicht sogar hinderlich? Wir wollen also experimentell erforschen, welche Erlebenspotenziale das Konzert als eine spezifische Darbietungs- und Rezeptionsform für bestimmte Musik erschließt. Die Leitfrage unseres Forschungsprojekts lautet: Was macht das Konzerterlebnis in einem Konzert mit klassischer Musik heute aus?
Wie aber kann man Musik-Erleben messen? Wir haben uns dafür entschieden, existierende Methoden zusammenzuführen und um weitere zu ergänzen. Vor dem Konzert werden wir das Publikum mit Sensoren ausstatten, die verschiedene körperliche Signale messen, die sich in der musikpsychologischen Forschung als gute Indikatoren für emotionale Erregung erwiesen haben (wie Hautleitwert oder Herzratenvariabilität). Direkt im Anschluss an das Konzert werden wir die Menschen im Publikum und die Musikerinnen und Musiker ausführlich befragen. Darüber hinaus filmen wir das Publikum, um sowohl die Mimik als auch die Bewegungsenergie auswerten zu können. Wir gehen davon aus, dass wir durch die Kombination dieser vielfältigen Techniken zur Erhebung von Verhaltens-, subjektiven Erlebens- und physiologischen Daten ein möglichst umfassendes und differenziertes Bild des Musik-Erlebens der Menschen im Publikum erhalten.
In den letzten Jahren haben mehrere Konzerthäuser, Festivals und private Anbieter audiovisuelle (Live-)Streaming-Angebote entwickelt. Ursprünglich war die Motivation hierfür, die „Krise“ des klassischen Konzerts zu überwinden oder neue Geschäftsmodelle zu lancieren. Dabei stand häufig die Annahme im Vordergrund, dass durch digitale Angebote ein neues und jüngeres Publikum erreicht werden kann, das sonst kein Live-Konzert besucht hätte. In der aktuellen Pandemie verändert sich jedoch diese Sichtweise: digitale Formate sind momentan der einzige Weg, wie diese Kulturinstitutionen ihr Publikum überhaupt erreichen und weiterhin binden können. Aus der Not heraus ist eine Vielzahl weiterer Streaming-Angebote entstanden.
Welche Angebote wie wirken und welche tatsächlich zukunftsfähig sein könnten, ist jedoch nahezu unerforscht. Auch wie sich das Konzertwesen unter dem rasanten Druck des digitalen Wandels weiterhin als Kulturform und soziales Forum behaupten kann, ist für Künstler/innen und Veranstalter, aber auch die Kulturpolitik eine aktuelle und wesentliche Frage. Mit „Digital Concert Experience“ (DCE), das nahtlos an das von der VolkswagenStiftung geförderte Projekt „Experimental Concert Research“ (ECR) anschließt und dieses komplementiert, soll experimentell, in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe, die Wirkung verschiedener Streaming-Konzertformate getestet werden. Die Wirkung der digitalen Konzertformate (DCE) kann später auch mit der Wirkung analoger Konzertformate (ECR) kontrastiert werden. Mit DCE und ECR wird ein weltweit einzigartiger Datensatz zum Verständnis der Kulturform Konzert und ihrer digitalen Transformation entstehen.
Concerto²¹ richtet sich an diejenigen, die über neue Aufführungskonzepte für klassische Musik nachdenken und sich mit innovativen Konzertformaten auf dem Markt behaupten möchten. Seit 2009 veranstaltet die Alfred Toepfer Stiftung diesen außerordentlichen Meisterkurs für Musiker und Festivalmacher, mit Martin Tröndle als deren Spiritus Rector.
Hatten Sie auch schon mal ein „Kunstgefühl“ ?
Ist es das Kunstwerk selbst oder seine Hängung beziehungsweise Platzierung im Raum die seine Wirkung ausmacht? Welchen Einfluss hat das Vorwissen der Betrachterin oder des Betrachters über das Werk oder ein gewisses „Expertenwissen“ auf die Kunstrezeption? Und wie wirkt sich das Verhalten der Besucherinnen und Besucher auf die Kunstrezeption aus? Mit dem Projekt „eMotion – mapping museum experience“ wurde dazu, weltweit erstmalig, experimentell die Wirkung von verschiedenen Ausstellungs- und Aufführungspraktiken auf die Besucherinnen und Besucher untersucht.
Das mehrjährige, internationale Forschungsprojekt „eMotion – mapping museum experience“ untersuchte die Frage der Interaktion von Raum, Objekt und Besucher anhand eines Kunstmuseums. Im Zentrum stand die psychogeografische Wirkung des Museums und seiner Objekte auf das Erleben der Museumsbesucher. eMotion wurde durch den Schweizerischen Nationalfonds gefördert, es ist bis heute eines der größten Forschungsprojekte das das Kunsterleben im Museum interdisziplinär untersuchte.
Neue Forschungsdesigns haben mannigfach neue Erkenntnisse über die Besucherinnen und Besucher von Kultureinrichtungen, deren Kunstrezeption und Motivation befördert. Die Forschungsergebnisse fanden ein breites wissenschaftliches und mediales Interesse.
Was bedeutet Professionalisierung im Kulturbetrieb und wie viel Professionalisierung verträgt ein Bereich, der sich einer ökonomisch getriebenen Managerialisierung qua Eigenlogik entziehen muss? Was unterscheidet Kulturorganisationen von gewinnorientierten Organisationen? Und falls Geld nicht das entscheidende Kriterium ist – wie wird darüber entschieden, was zu entscheiden ist? Kulturmanagement muss intelligenter sein, als uns die how-to Literatur verspricht, denn die Herausforderungen, denen wir bei der Produktion ästhetischer Ereignisse begegnen, sind komplex.
Die „Zeitschrift für Kulturmanagement und Kulturpolitik“ (Journal of Cultural Management and Cultural Policy) vertritt eine internationale Perspektive auf aktuelle Fragestellungen aus Forschung, Lehre und Praxis in den Feldern Kulturmanagement und Kulturpolitik. Das Themenspektrum umfasst nationale und internationale Kulturpolitik auf allen Ebenen (cultural policy, polity und politics); das Kunst- und Kulturfeld sowie deren Institutionen, Praktiken und Angebote; Akteure in Kultur und den Künsten sowie Prozesse der Produktion, Distribution und Rezeption von Kunst und Kultur. Titel bisheriger Ausgaben waren u.a.:
Mit seinen über 60 Opernhäusern, circa 130 Staats- und Stadtorchestern, 4.000 Kunstmuseen, Bibliotheken, Kunst- und Musikschulen gibt es kein anderes Land auf der Welt, das soviel Geld für die öffentlichen Kulturförderung ausgibt wie Deutschland. Umso mehr erstaunt es, dass Kulturpolitikforschung in Deutschland in einem überschaubaren Rahmen stattfindet. Warum eigentlich? Welche Akteure formieren mit welchen Motivationen das Feld, in dem sich kulturpolitische Diskurse fortschreiben, und welche Wirkung hat dies auf die Kulturproduktion?
Trotz erheblicher Ressourcen in der Kulturförderung findet Kulturpolitikforschung in Deutschland in einem eher überschaubaren Rahmen statt.
Warum eigentlich?
Die Frage, welche Funktion Kultur für die Gesellschaft erfüllen soll, wird in politischen Leitformeln, Förderrichtlinien und Positionspapieren verhandelt. Seit den 1970er-Jahren haben sich in Deutschland zudem zeitlich befristete Förderformate, wie Projekte und Programme, entwickelt, die auf klare Ziele und eine theoretische Begründung der Förderung ausgerichtet sind. Dadurch haben sich offizielle Leitformeln der Kulturpolitik, wie „Audience Development“, herausgebildet, die in policy papers und Förderrichtlinien präsent sind. Wie aber entstehen solche Leitformeln und Positionspapiere? Wie werden diese institutionalisiert? Und wie die offiziellen Leitformeln in den Institutionen umgesetzt? Welche organisationalen Veränderungen und Änderungen des Selbstbildes werden hervorgerufen? Wie könnte Kulturpolitik und Stadtentwicklung jenseits der traditionellen Kulturentwicklungsplanung neu konzipiert werden?
Stichworte wie Globalisierung, demographische Verschiebungen, Digitalisierung und der Wandel der Arbeits- und Alltagswelt, Klimakrise, die Krise der EU und der demokratischen Ordnung insgesamt, beschreiben die gegenwärtigen gesellschaftlichen Umbrüche, vor deren Hintergrund sich auch die Rolle von Kulturinstitutionen, Kulturpolitik und Kulturarbeit tiefgreifend verändert. Das Forschungscluster untersucht daher die Zusammenhänge zwischen diesen gesellschaftlichen Entwicklungen und zukünftig potentiellen Produktions-, Distributions- und Rezeptionsformen von Kunst und Kultur.
Kulturinstitutionen, ihre Besucherinnen und Besucher sowie die Kulturpolitik sind interdependent und ineinander verschachtelt. Die Fragen, die im Cluster adressiert werden, erfordern daher ein komplexes, multiperspektivisches Denken. Entsprechend agiert das Cluster international, interdisziplinär und generationenübergreifend mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Praktikerinnen und Praktikern.
In einigen Nationalstaaten (z.B. USA, Polen, Ungarn, Italien, UK, Israel, Griechenland) ist zu beobachten, wie populistische bzw. nationalistische politische Bewegungen den Wert einer öffentlich finanzierten Kunst und Kultur für das Gemeinwesen in Frage stellen. Wie wirkt sich die (radikale) politische Neupositionierung dieser Staaten auf deren Kulturpolitik aus? Wie beeinflussen Budgetkürzungen, Zensur und Medienkontrolle, eine Verengung des Kulturbegriffs sowie Versuche, das Leitungspersonal von Kulturinstitutionen politisch zu steuern, das kulturelle Schaffen dieser Länder? Welchen Einfluss üben rechts- und linkspopulistische Parteien in den genannten Ländern und darüber hinaus auf den kulturpolitischen Diskurs und das Kunst- und Kulturschaffen aus?
Der Forschungsbereich fragt ebenso nach gegenläufigen Bewegungen, insbesondere nach der Rolle von zivilgesellschaftlich verorteter Kunst und Kultur als Alternative, Opposition und in Governance-Formationen. Ein weiterer Teil des Forschungsbereiches widmet sich der Entstehung von kulturpolitischen Metadiskurse, wie etwa die „Neue Kulturpolitik“, „Kulturelle Bildung“ oder „Kulturkampf” bzw. „Widerstand gegen Moderne und westliche Dekadenz” als Parole der rechtspopulistischen polnischen PIS-Regierung? Wie werden sie erzeugt und wie werden sie wirkmächtig im kulturpolitischen Feld? Welchen Einfluss haben sie auf Förderentscheidungen?
Vergangene Arbeitstagungen im Forschungsbereich „Transformation der Kulturpolitik“:
The Future of European Independent Art Spaces in a Period of Socially Engaged Art (FEINART)
FEINART ist ein größer angelegtes Forschungsprojekt zwischen universitären Forschungseinheiten in den Bereichen politische Philosophie, Kunsttheorie, Kunstpraxis und Curatorial Studies sowie Kulturmanagement einerseits und Kunstinstitutionen – vornehmlich der freien Szene – andererseits. Diese kooperieren, um eine erste umfassende interdisziplinäre Analyse der Rolle und Funktion sozial engagierter Kunst in den europäischen Demokratien durchzuführen. In diesem Zusammenhang werden 11 Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler (ESRs) im Rahmen eines PhD-Programms ausgebildet. Die Kandidatinnen und Kandidaten sollen dabei die entsprechenden akademischen und nicht-akademischen Fähigkeiten erwerben, die es ermöglichen eine sich wandelnde Kunst- und Kulturlandschaft mit all ihren Herausforderungen zu verstehen und aktiv mitzugestalten. Die ausgewählten Partnerorganisationen stellen einen exemplarischen Querschnitt aus kleineren und größeren unabhängigen Projekträumen, Kunst- und Kulturzentren sowie Labors und Forschungszentren dar und arbeiten mit ganz verschiedenen Anforderungen und Erwartungen. Alle aber stellen unverzichtbare Anlaufpunkte und Ressourcen für jene Künstlerinnen und Künstler bereit, die in den Bereichen der sozial engagierten Praxis tätig sind. Das PhD-Trainingsprogramm will wertvolle Informationen über die Verbreitung, die Effekte und die Rolle sozial engagierter Kunst liefern und Förder- und Finanzierungsbedarfe analysieren; dies auch um Empfehlungen zur staatlichen Förderung dieser neuen Kunstpraktiken zu erarbeiten. So soll das Programm einen wichtigen Beitrag zur Debatte über die traditionelle Rolle von Kunst- und Kulturinstitutionen liefern.
Prof John Roberts, University of Wolverhampton, Coordinator | Prof Dr Karen van den Berg, ZU, chairwoman of the supervisory board & training coordinator | Björn Þorsteinsson, Háskóli Íslands | Dr Angela Dimitrakaki, University of Edinburgh
In vielen Forschungsprojekten bindet der Lehrstuhl Künstlerinnen und Künstler in die Forschergruppen ein, damit sie ihre epistemologische Kompetenz in den Forschungsprozess einbringen und diesen so produktiv irritieren. In „eMotion – mapping museum experience“ und „Experimental Concert Research (ECR)“ entstanden so Herangehens- und Darstellungsweisen, die wissenschaftlich geprägte Methoden allein nicht hervorgebracht hätten – dadurch entsteht neues Wissen.