Als Bürger gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen: Das ist für Tim Robert Schleicher selbstverständlich. So gründete der 22-jährige SPE-Studierende beispielsweise im vergangenen Jahr mit weiteren ZU-Studierenden die Initiative „welt_raum“. Dort werden Räume geschaffen, um Begegnungen zwischen Asylsuchenden und Bürgern zu ermöglichen und das Miteinander zu fördern. Auch dieses Engagement hatte wohl einen Anteil daran, dass er vor kurzem in den „Knowledge Pool“ des St. Gallen Symposiums berufen und als „Leader of Tomorrow“ ausgezeichnet wurde.
„Die Initiative ,welt_raum‘ ist aus der Idee entstanden, dass es einen Mangel an Begegnungen zwischen Asylsuchenden und Bürgern gibt“, erläutert Schleicher. Gemeinsam mit weiteren ZU-Studierenden und im Dialog mit dem Deutschen Roten Kreuz wurde dann im vergangenen Jahr ein Konzept entwickelt, was sich von bisherigen Initiativen und Projekten in diesem Bereich ein Stück weit unterscheidet: „Denn es geht in erster Linie nicht darum zu helfen, sondern Räume zu schaffen, in denen sich Asylsuchende und Bürger auf Augenhöhe begegnen, voneinander lernen und miteinander teilen. Dabei sollen Gemeinsamkeiten ausgemacht und Unterschiede aufgehoben werden.“ Das Angebotsspektrum von „welt_raum“ umfasst Sprachtandems und Ausflüge in der Region. Außerdem versuchen die ZU-Studierenden, die Flüchtlinge in die Häfler Sportvereine zu integrieren, einige Kinder besuchen inzwischen die Musikschule, einige Erwachsene die Kurse der Volkshochschule. „Es gilt zu erkennen, dass die Asylsuchenden einen Schatz und einen Mehrwert für unsere Gesellschaft darstellen“, betont Schleicher.
Vor seinem Engagement für die Initiative „welt_raum“ hat der Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung bei der Ashoka Jugendinitiative der ZU mitgewirkt. „Ziel ist es, Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, wie man eigenverantwortlich Probleme angeht und selbstbestimmt handelt“, erläutert Schleicher. „Bei allen Projekten, die mit den jungen Menschen gemeinsam auf die Beine gestellt werden, verstehen sich Ashoka dabei stets als Wegbegleiter.“ So hat er mit Kommilitonen im Rahmen des Projektes „Potzblitz!“ der Stadt Friedrichshafen Blockseminare für Schülerinnen der Mädchenrealschule St. Elisabeth zum Thema „Soziale Energien“ abgehalten.
Soziales Engagement und gesellschaftliche Verantwortung waren als Themen durchweg präsent auf dem von Tim Schleicher besuchten Gymnasium, das vom Bistum Mainz geführt wurde. „Den Lehrern lag es besonders am Herzen, den Schülern bestimmte Werte wie Gemeinschaftsorientierung und Integrität mit auf den Weg zu geben“, sagt Schleicher. So dauerte es nicht lange, bis er auf die auch an seiner Schule angeschlossenen „Jugendverbände der Gemeinschaft Christlichen Lebens“ aufmerksam wurde. Als junger Schüler nahm er noch die dort angebotenen Aktivitäten wahr, später entschied er sich dazu, sich zum Gruppenleiter wählen zu lassen: Nun war er selbst für die Betreuung und Organisation eines Zeltlagers oder eines Wanderausflugs zuständig. „Das war eine großartige Gemeinschaft und ein Ort, der komplementär zur Schule besteht. Denn dort ging es nicht um fachliche Leistung“, erwähnt Schleicher. „Und rückblickend betrachtet ist es wie bei ,welt_raum‘. Einerseits sind es beides Welten, die einem sehr viel Kraft geben, und andererseits gibt es hier wie dort Menschen, die sich wechselseitig unterstützen und sich füreinander verantwortlich fühlen.“
An der ZU setzt sich Tim Schleicher, der seit einiger Zeit Arabisch lernt, auch wissenschaftlich für den Dialog zwischen den Kulturen ein: So betreut er am „Leadership Excellence Institute Zeppelin | LEIZ“ das von ihm mitentwickelte Forschungsprojekt „Transcultural Caravan“. „Das Projekt beruht auf der Annahme, dass es mehr bedarf als die Bereitschaft zur Konfliktlösung, um sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stellen. Es bedarf vielmehr der Definition von gemeinsamen Interessen und Werten, also der Bereitschaft zur Kooperation“, erklärt Schleicher. „In diesem Sinne benötigen insbesondere Führungspersönlichkeiten eine neue transkulturelle Identität, das heißt ein globales Verständnis für gemeinsame moralische Prinzipien.“ Das Projekt ist vor kurzem gestartet, das Team von ZU-Wissenschaftlern um Professor Dr. Josef Wieland ist derzeit auf der Suche nach Partnern. Ziel ist es, ein globales Netzwerk von unterschiedlichen Organisationen aufzubauen, Forschung zu fördern und Veranstaltungen auszurichten, auf denen ein Diskurs über „zukunftsfähige Führung“ angeregt wird.
Mit Zukunftsfähigkeit beschäftigt sich Schleicher auch im Kontext seines SPE-Studiums. So hielt er beispielsweise auf der studentischen Konferenz für interdisziplinäre Forschung „ZUfo“ einen Vortrag über die gesellschaftlichen Implikationen des Zinsprinzips. „Wir sollten uns mehr mit den grundlegenden, tiefgreifenden Strukturen unserer Gesellschaft auseinandersetzen“, erklärt Schleicher. Ein Jahr zuvor wanderte er im Kontext eines Forschungsprojekts zum Verhältnis von Kapitalismus und sozialer Beschleunigung von Flensburg nach St. Petersburg. Aber auch abseits des Studiums geht es Schleicher um Zukunftsfähigkeit. Gemeinsam mit dem Debattenmagazin „The European“ und der Konrad-Adenauer-Stiftung startete er im Zuge der vergangenen Europawahl den Blog „grenzsprung.eu“. Ein wichtiges Anliegen ist es dabei, „junge Menschen für die Idee eines vereinten Europas zu sensibilisieren“, sagt Schleicher. „Denn es muss etwas getan werden, um die lange Zeit des Friedens zu erhalten.“
Sein Interesse für gesellschaftliche und wirtschaftliche Themen hat sich in den Jahren direkt vor dem Abitur verdichtet. Besonders zwei Projekte, die parallel zum Schulalltag verliefen, haben daran einen entscheidenden Anteil: Zum einen wirkte Schleicher beim Schülerwettbewerb „business@school“ der Boston Consulting Group mit, zunächst als Teilnehmer, später auch als Coach. „Die Grundidee bestand darin, Schüler mit dem Thema Wirtschaft vertraut zu machen und ihnen Grundkenntnisse der Unternehmensanalyse zu vermitteln. Anschließend ging es darum, ein Unternehmen zu beraten sowie ein eigenes Projekt durchzuführen“, erläutert Schleicher. Prägend war zum anderen seine Teilnahme am „Social Business Lab“, einem Workshop mit dem Nobelpreisträger Professor Muhammad Yunus, der in Indien die Mikrokredite erfunden und gesellschaftsfähig gemacht hat. Politik, Wirtschaft und Englisch als Leistungskurse sowie spannende Diskussionen mit Familie und Freunden taten ihr Übriges.
Um ein wenig „dem getakteten Alltag“ zu entschwinden, legt Tim Schleicher derzeit ein Auslandssemester in Israel am Interdisciplinary Center Herzliya ein. Dort belegt er Kurse, die sich mit Themen wie Terrorismusabwehr, aber auch Finanzmärkten befassen. „Ich freue mich sehr darüber, dass ich mein Auslandssemester in einer der pulsierendsten und atemberaubendsten Regionen der Welt absolvieren kann. Vor allem die Erfahrungen und Eindrücke, die ich aus der Lehre und vor allem aus den Begegnungen mit den dort lebenden Menschen bisher gesammelt habe, sind sehr bereichernd für mich“, erzählt Schleicher. Was nach dem Bachelorstudium kommt, da ist sich Tim Schleicher, der bereits als Praktikant bei KPMG im Bereich Bankenregulierung aktiv war, noch nicht sicher: „Fest steht allerdings, dass ich mir gut vorstellen kann, später in einer Stiftung zu arbeiten. Denn an diesen Orten wird versucht, unsere Welt aktiv zu gestalten und zu prägen, dort wird gesellschaftliche Verantwortung übernommen. Es sind eben Organisationen, die am Gemeinwohl orientiert sind. So stelle ich mir, nebenbei bemerkt, auch echtes Bürgertum vor.“