Helen Spangler ist in den vergangenen zwei Jahren viele Sonntage mitten in Friedrichshafen auf die Straße gegangen, um bei „Pulse of Europe“-Demonstrationen ein Zeichen für Europa zu setzen und die Menschen von den Vorteilen der Europäischen Union zu überzeugen. Den Europagedanken weiterzutragen, das ist ihr auch ein wichtiges Anliegen als Vorstandsvorsitzende der Jungen Europäischen Föderalisten Bodenseekreis e.V. „Ich selbst bin in dieser europäischen Welt aufgewachsen und lebe mit allen Grundfreiheiten. Dafür muss man sich einsetzen, denn das ist nicht selbstverständlich.“
Weil ihr Vater bei einem international operierenden Automobilzulieferer arbeitet, kam Helen Spangler nicht nur im mexikanischen Querétaro zur Welt, sondern verbrachte auch den Großteil ihrer Gymnasialzeit im chinesischen Shanghai. Dort besuchte sie die Deutsche Schule und erlebte hautnah mit, wie es ist, in einer internationalen Gemeinschaft und in einem bunten Mix an unterschiedlichen Nationalitäten zu leben. „Das Leben in Shanghai war geprägt von vielen Zu- und Weggängen. Ob im Freundeskreis, in den Schulklassen oder in den Sportvereinen: Ständig hat sich etwas verändert“, beschreibt Spangler. „Da sich die Menschen schneller an das neue Umfeld gewöhnen mussten, waren sie auch viel offener gegenüber Fremden, es spielte keine Rolle, woher man kommt oder an was man glaubt. Diese Art des Zusammenlebens fehlt mir sehr.“ Und wie hat sie das Leben im Ausland geprägt? „Seither bin ich viel offener und extrovertierter: Mir fällt es nicht schwer, mich auf verschiedenste Situationen einzulassen, auf mir noch unbekannte Menschen zuzugehen oder vor anderen meine Meinung zu äußern.“
Ebenso leicht fällt es Helen Spangler, sich in unterschiedlichste Themen einzuarbeiten und reinzudenken: Ein Grund, warum sie ihr Abitur als Jahrgangsbeste abschloss. „Weil ich mich aber von den Geisteswissenschaften über die Naturwissenschaften bis hin zu den Sprachen für unglaublich viel interessiert habe, fiel es mir alles andere als leicht, eine Studienwahl zu treffen.“ Nicht weiter verwunderlich, dass sich während einer Studienberatung ein interdisziplinärer Studiengang herauskristallisierte, „und insbesondere die an der ZU angebotene Kombination aus Soziologie, Politik und Ökonomie hat mich sehr gereizt.“
Nach der erfolgreichen Bewerbung wurde sie zum „Pioneers Wanted!“-Auswahltag eingeladen. „Neben dem damals noch im Bau befindlichen HauptCampus haben mich vor allem die Menschen fasziniert, die zwar unterschiedliche Interessen und Hintergründe mitbringen, aber doch recht ähnlich ticken, was sich etwa an der ausgeprägten Diskussionsfreudigkeit zeigt.“ Ein weiteres Auswahlverfahren führte sie zur Studienstiftung des Deutschen Volkes, für die sie wegen ihrer schulischen Leistungen und ihrem damit verbundenen Ehrgeiz vorgeschlagen und in die sie aufgenommen wurde.
Noch vor dem Studienbeginn absolvierte Helen Spangler ein Praktikum beim Sozialamt in ihrer Heimatstadt Coburg im Bereich Asyl, um sich abseits von der, wie sie selbst sagt, größtenteils aufgebauschten Medienberichterstattung ein eigenes Bild von den Zuständen zu machen. „Dabei habe ich nicht nur einen Einblick in den bürokratischen Aufwand, sondern auch in das Leben in den Erstaufnahmeeinrichtungen gewonnen“, erwähnt Spangler. Rasch in Friedrichshafen und an der ZU eingelebt, überlegte sie, ob sie sich in einer studentischen Initiative einbringen soll, die Flüchtlingsarbeit leistet. „Doch die Möglichkeiten, sich an der ZU zu engagieren, sind so vielfältig, dass ich mich anfangs noch mehr ausprobieren wollte“, bemerkt Spangler.
In den ersten beiden Semestern ging es schließlich hin und her: Sie besuchte die eine oder andere Veranstaltung der Flüchtlingsinitiative welt_raum und stand als Buddy zwei Erstsemestern mit Rat und Tat zur Seite. Zwei weitere Engagements verfolgte sie längerfristig: Zum einen war sie Stipendiatensprecherin der Studienstiftung des Deutschen Volkes in Friedrichshafen, zum anderen Trainerin der Lacrosse-Damen-Mannschaft an der ZU. „Ein Ball und ein Schläger, das waren schon immer meine Sportarten“, sagt Spangler, die während ihrer gesamten Jugendzeit Tennis gespielt hat. „Außerdem gefällt mir an Lacrosse vor allem, dass es nicht nur eine Team- und Rasensportart ist, sondern auch eine dynamische und nicht so zimperliche.“
Nach und nach wuchs sie in die Trainerrolle rein, nach und nach fokussierte sie sich auf europäische Themen. Und das kam so: Angestoßen durch den Junge Europäische Föderalisten Bodenseekreis e.V. und als Reaktion auf das Brexit-Referendum und die stärker werdenden antieuropäischen Strömungen fand sich eine Gruppe von Studierenden an der ZU zusammen – darunter auch Helen Spangler –, um die in Frankfurt begründete proeuropäische Bewegung „Pulse of Europe“ nach Friedrichshafen zu holen.
Als sich kurz danach abzeichnete, dass sich der Vereinsvorstand nach dem Studienabschluss auflöste, stellte sich die Nachfolgefrage. Keine Frage für Helen Spangler, hier Verantwortung zu übernehmen. „Ich habe schon immer international gedacht und hatte zum damaligen Zeitpunkt das Gefühl, dass es nicht sein kann, dass nur diejenigen auf die Straße gehen, die gegen Europa sind. Vielen ist offenbar gar nicht mehr bewusst, wie viele Vorteile die Europäische Union zu bieten hat“, erläutert Spangler. „Umso wichtiger ist es, ein Zeichen für Europa zu setzen und denjenigen eine Plattform und eine Stimme zu geben, die proeuropäisch eingestellt sind.“ Gesagt, getan: Seit den Anfängen ist Helen Spangler Hauptorganisatorin der fast jeden Sonntag stattfindenden „Pulse of Europe“-Demonstrationen in Friedrichshafen. „Dabei geht es nicht darum, durch die Straßen zu laufen und zu skandieren, sondern die Menschen über die Prinzipien und Werte der Europäischen Union zu informieren.“
Darüber hinaus übernahm Helen Spangler das Amt der Vorstandsvorsitzenden der unabhängigen, überparteilichen und nicht-konfessionellen Jugendorganisation namens Junge Europäischen Föderalisten Bodenseekreis e.V. „In Zeiten, in denen das Gefühl eines auseinandertriftenden Europas vorherrscht, setzen wir uns für ein friedliches, gerechtes, bürgernahes, demokratisches und geeintes Europa in Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen ein“, betont Spangler. Um den Europagedanken auch an der Universität mit Leben zu füllen, haben die Jungen Europäer Veranstaltungen etwa zur Politik Italiens und deren Auswirkungen auf die Europäische Union oder Exkursionen unter anderem nach Straßburg zum Europäischen Parlament organisiert.
Im Studium selbst widmete sich Helen Spangler weniger der Soziologie, dafür umso mehr der Politik und der Wirtschaft. „Besonders die enge Verflechtung von Politik und Wirtschaft sowohl auf europäischer als auch auf globaler Ebene interessieren mich“, sagt Spangler. „Zudem finde ich es auch ganz entspannend, nicht nur Argumentationen aufzubauen, sondern auch mal mathematische Aufgaben lösen zu müssen.“ So hat sie sich unter anderem mit der Politik der Europäischen Zentralbank und der chinesischen Wirtschaftspolitik auseinandergesetzt. „Das Studium an der ZU hat sich für mich definitiv gelohnt, denn ich habe mich fachlich wie persönlich durch die Interaktionen in den Kursen und das Umsetzen von Ideen in die Tat sehr weiterentwickelt.“
Ist es immer leicht, etwas Neues auszuprobieren? „Nein, es kostet auch immer ein wenig Überwindung, aber mittlerweile weiß ich, dass es sich fast immer lohnt.“