Ob während eines Schuljahres in China, in einem Auslandssemester in Israel oder bei Praktika in der Berliner Senatskanzlei und in der Deutschen Botschaft in Washington, D.C. – Paulina Kintzinger hat sich an vielen Orten damit beschäftigt, was soziale Ungleichheit bedeutet. Um ein tieferes Verständnis davon zu gewinnen, hat sie an der ZU den Bachelor in Soziologie, Politik und Ökonomie studiert. Mit diesem Wissen möchte sie sich nun in Forschung und Arbeit noch stärker für eine gerechtere Gesellschaft einsetzen.
In der Familie von Paulina Kintzinger wurde viel Zeitung gelesen und über das darin geschriebene viel diskutiert, „sodass mir das Interesse an Gesellschaft, Politik und Wirtschaft bereits im Kindesalter eingeimpft wurde.“ Ein weiterer Auslöser, warum sie sich später einmal in ihrem Studium zwischen Soziologie, Politik und Ökonomie bewegen sollte, war ein einjähriger Aufenthalt in einem Internat in Shanghai. „Der ganztägige Unterricht war zwar herausfordernd, aber ich habe so viel über die chinesische Kultur und Sprache gelernt, wie ich es sonst niemals getan hätte“, berichtet Kintzinger. Das Leben in einem chinesischen Internat hat sie aber auch auf eine andere Weise geprägt: „In einem autoritären System verläuft natürlich einiges anders als in meiner Heimat Europa. Aus den Erfahrungen hat sich mein Interesse für die Verflechtung von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft entwickelt, das meine Forschung und Arbeit bis heute prägt.“
Zurück in Deutschland – die Erinnerungen an chinesische Reisdörfer mit Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, noch präsent – engagierte sie sich für Viva Con Agua, das Trinkwasserprojekte in Entwicklungsländern realisiert. Schnell übernahm sie Verantwortung, leitete an ihrem Gymnasium Schulgruppen und organisierte Infoveranstaltungen, Spendenläufe und eine Benefizgala mit Nachwuchsmusikern. Darüber hinaus reiste sie nach Berlin und ins estnische Tartu, um jeweils an einem Model European Parliament teilzunehmen und Sitzungen im Europaparlament zu simulieren. „Besonders die Begegnungen mit Europäerinnen und Europäern aus anderen Staaten haben mir neue Sichtweisen gezeigt – wie etwa der Blick eines Polen auf die Ukraine-Krise – und mein Interesse an internationaler Politik erweitert“, erzählt Kintzinger.
Nach dem Abitur sollte es wieder zurück nach China gehen, was sich jedoch aufgrund der verschärften Visabestimmungen für Praktikanten als schwierig erwies. So landete sie beim Weltmarktführer für Festartikel und Kostüme in Hong Kong. Von einer engagierten Chefin lernte sie das Einmaleins der BWL und nahm eigenverantwortlich Aufgaben wahr: von der Bestellung über die Produktentwicklung und Preisverhandlungen bis zum Verkauf. Als Schwangerschaftsvertretung hatte sie die Chance, zwei europäische Großkunden zu betreuen und mit diesen die Herstellungsorte in China zu besuchen. „Das war schon eine absurde Zeit. Mir wurde viel zugetraut – und das nur, weil ich Europäerin bin“, räumt Paulina Kintzinger ein.
Surreal kam ihr auch das vor, was sich damals mitten in Europa abspielte, als die Flüchtlingskrise ihrem Höhepunkt entgegenstrebte. Nach der Rückkehr nach Deutschland und ausgestattet mit Kraft und Zeit sowie angespornt von Navid Kermanis Reportage „Einbruch der Wirklichkeit“, in der er seine Erfahrungen von der Balkanroute wiedergibt, gründete sie zusammen mit einer Freundin „AT THE SHORE“, um Spenden für Menschen in den griechischen Flüchtlingslagern zu sammeln. Für zwei Monate ging es in die Flüchtlingscamps in Fillipiada und in Skaramangas, um vor Ort flexible humanitäre Hilfe zu leisten – in Zeiten, in denen es dort vor allem an finanziellen Mitteln mangelte.
Inzwischen war Paulina Kintzinger an der ZU angenommen worden, nun stand sie kurz davor, ein Bachelorstudium in SPE aufzunehmen. „Ich wollte unbedingt an einem Ort studieren, an dem interdisziplinäres Wissen vermittelt und bestehendes Wissen hinterfragt wird, ehrenamtliches Engagement gefördert und gewürdigt wird sowie große Träume nicht nur geträumt, sondern auch verwirklicht werden – und die ZU ist genau der richtige Ort für all das“, sagt Kintzinger auch vier Jahre später noch. Währenddessen war die Willkommensstimmung abgeflaut und eine Hasswelle über die Geflüchteten hereingebrochen. Besonders nach ihren Erfahrungen in Griechenland wollte Paulina Kintzinger dem etwas entgegensetzen, und so stand sie bereits in ihrer zweiten Woche an der ZU morgens mit anderen Kommilitoninnen und Kommilitonen vor dem Frühstücksbus der Initiative Frühlingserwachen, um in Dialogen mit Bürgerinnen und Bürgern für eine vielfältige und tolerante Gesellschaft zu werben. „Dabei habe ich gelernt, offen zu sein für die Meinungen von anderen Menschen, so krude sie auch sein mögen“, sagt Kintzinger.
Weil sie bestens damit vertraut war, wie es ist, internationale Institutionen wie das Europäische Parlament zu simulieren, bereitete sie gemeinsam mit einem Kommilitonen und einer Alumna die Mitglieder der Zeppelin MUN Society auf die Harvard World Model United Nations in Montreal vor. Nach der zweiwöchigen Kanadareise blieb Paulina Kintzinger beim Club of International Politics e.V. aktiv und wechselte als stellvertretende Vorsitzende in den Vorstand. Von da an investierte sie jede freie Minute in den Verein. Erstmals initiierte sie das Diplomats Dinner mit, bei dem CIP-Mitglieder mit Diplomatinnen und Diplomaten ins Gespräch kommen. Auch an Politikerinnen und Politiker aller Couleur wurden unzählige Briefe verschickt, was sich letztlich ausgezahlt hat. So kamen etwa Claudia Roth, Omid Nouripour, Hillel Neuer und Sawsan Chebli für Diskussionsabende an die ZU.
Die Berliner SPD-Politikerin wurde zu ihrem PraxisCoach, Paulina Kintzinger absolvierte im Büro von Sawsan Chebli in der Berliner Senatskanzlei ein Praktikum und unterstützte sie zuletzt im Wahlkampf um die SPD-Bundestagskandidatur in einem Berliner Wahlkreis. Bis heute verbindet beide ein freundschaftliches Verhältnis. „Besonders imponiert mir an Sawsan Chebli, dass sie wie kaum eine Zweite eine Aufbruchsstimmung verkörpert, für eine jüngere und inklusivere SPD einsteht und trotz teilweise massivem Gegenwind leidenschaftlich für ihre Sache kämpft“, bemerkt Kintzinger. Sie selbst ist sich ihrer privilegierten Situation bewusst und weiß, dass es um sie herum alles andere als sozial gerecht zugeht. „Das Studium an der ZU hat mich für soziale Ungleichheit außer-, aber auch innerhalb Deutschlands sensibilisiert“, berichtet Kintzinger, die während ihres Studiums in die SPD eingetreten ist, „weil sie nun mal die Partei ist, die sich für eine gerechtere Gesellschaft einsetzt.“
Wie entstehen globale Ungleichheiten? Warum entwickeln sich Länder so, wie sie es tun? Warum sieht die Weltwirtschaft so aus, wie sie aussieht? Wie unterscheiden sich Denk- und Verhaltensweisen von verschiedenen Kulturen? Das sind wissenschaftlich die Themen, die Paulina Kintzingers Studium an der ZU maßgeblich prägten. Das Interesse für die chinesische Kultur wurde hier wieder präsent: Zu was führen chinesische Investments und wie lassen sie sich besser verstehen? In ihrer Humboldt- und Bachelorarbeit beschäftigte sie sich mit der Frage, welchen Einfluss chinesische Investments in Entwicklungsländern haben in Bezug auf ökonomische und gesellschaftliche Faktoren. Das ökonomische Handwerkszeug für ihre wirtschaftswissenschaftlichen Analysen eignete sie sich nicht nur in den Kursen an der ZU an, sondern auch in den Seminaren am Interdisciplinary Center Herzliya in Israel, wo sie ein Auslandssemester einlegte. Das hier wie dort erworbene Wissen konnte sie als Tutorin in Makroökonomie an ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen weitergeben.
In Gesprächen mit Israelis und Palästinensern stellte Paulina Kintzinger erneut fest, wie unterschiedlich Perspektiven auf ein- und dieselbe Realität sein können. „Dabei wurde mir wiederholt vor Augen geführt, wie wichtig Diplomatie, politische Beziehungen und wirtschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit sind“, erwähnt Kintzinger. Daher kann sie sich eine Zukunft im Auswärtigen Dienst oder in internationalen Organisationen vorstellen. Dieser Eindruck hat sich während ihres Praktikums in der Deutschen Botschaft in Washington, D.C., nur noch verstärkt.
„Die ZU hat mir in einer außergewöhnlichen Art und Weise Gesellschaft mitsamt ihren Außenbeziehungen und Problemen nahegebracht. Ich bin sehr dankbar, an diesem Ort studiert haben zu dürfen. Diese Erfahrungen und Inspirationen möchte ich nun mitnehmen in die Welt“, sagt Kintzinger. Dass ein Master im Ausland und vielleicht sogar eine Promotion in Frage kommen, dass eine Arbeit im Auswärtigen Dienst kein Wunschkonzert bleiben muss: Das hätte sich Paulina Kintzinger nicht mal ansatzweise vorstellen können. „Es ist auch die Mentalität an der ZU, die mich so weit gebracht hat. ,Vielleicht klappt´s, vielleicht auch nicht. Aber mach´s!‘“