01.06.2022

Lorenz Bokari

„Die Welle so nehmen, wie sie kommt“: Nach diesem Motto lebt Lorenz Bokari. Wenn sich Türen schließen, dann gibt er nicht auf, denn er weiß, dass sich woanders welche öffnen. Das ist es, was er auch und vor allem an der ZU erfahren hat und was er anderen Menschen mit auf den Weg geben möchte. Sein eigener Weg führte ihn zu einem PAIR-Bachelor an die ZU, zu Auslandssemestern nach Istanbul und Bogotá und zur Gründung eines gemeinnützigen Vereins, der Bildungs- und Gesundheitsprojekte in Togo umsetzt.



Es ist nicht nur, aber auch der Familienname, der Lorenz Bokari mit dem Land verbindet, aus der fast die gesamte Familie in den 1970er und 1980er Jahren nach Deutschland und andere europäische Staaten einwanderte: die Stadt Buchara in Usbekistan. Obwohl er in Stuttgart-Vaihingen aufgewachsen ist, fühlte und fühlt er sich nie wirklich wie ein heimischer Schwabe: „Für mich war spätestens in der Oberstufe klar, dass mein Lebenstraum nicht darin besteht, früh verheiratet zu sein sowie ein Reihenhaus und einen Schäferhund zu besitzen“, sagt Bokari. „Vielmehr habe ich den Drang verspürt, mich aus dem Ländle herauszuwagen und unmittelbar nach dem Abitur einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst in Afrika zu absolvieren.“


So landete er als weltwärts-Freiwilliger in Togo – raus aus der schwäbischen Komfortzone, rein in eine Welt voller Schicksalsschläge. Denn ein Jahr verbrachte er in einem Waisenhaus und unterrichtete die dort lebenden Kinder und Jugendlichen in Englisch, Mathematik und Sport. „Plötzlich mit Söhnen und Töchtern konfrontiert zu werden, die ihre Eltern verloren haben oder von ihnen verstoßen werden, sind Eindrücke, die man nie mehr vergisst“, berichtet Bokari. Diese Eindrücke und selbst die eine oder andere Malariaerkrankung ließen ihn den entwicklungspolitischen Freiwilligendienst jedoch nicht vorzeitig beenden. „Letztlich bin ich glücklich, dass ich es bis zum Ende durchgezogen habe. Denn sowohl die Arbeit in dem Waisenhaus als auch die Gespräche mit dort ansässigen NGOs und internationalen Organisationen haben mich darin bestärkt, später einmal in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sein zu wollen“, erklärt Bokari.


Mit diesem Gedanken kehrte Lorenz Bokari nach Deutschland zurück – und mit einem großen Fragezeichen reagierten die Eltern, als ihr ältester Sohn ihnen offenbarte, dass er als Nicht-Akademikerkind Politik studieren wolle. Als sie ihn schon hinter dem Steuer eines Taxis wähnten und ihm vielmehr ein Studium in Wirtschaftsingenieurwesen und einen in jeder Hinsicht sicheren Arbeitsplatz bei Mercedes-Benz ausmalten, beharrte Lorenz Bokari auf einem geisteswissenschaftlichen Studium: „Bis heute sehe ich ein Studium nicht als Ausbildung, sondern als Möglichkeit, andere Sichtweisen einzunehmen und sich selbst zu hinterfragen.“


Durch einen guten Freund, der an der ZU studierte, erfuhr er vom PAIR-Bachelor. „Was er mir dabei über die kleinen Kurse, die motivierten Studierenden, das persönliche Verhältnis zu den Dozierenden und das weitreichende Netzwerk erzählte, hörte sich sehr überzeugend an“, erzählt Bokari. An der ZU angekommen und ins PAIR-Studium gestartet, war er ganz überrascht, dass ihn neben der Politik und den Internationalen Beziehungen vor allem die Verwaltung begeisterte. „Ausschlaggebend war die Aussage, dass unabhängig von den idealistischen Zielen, die man mit einem Verein oder einer Organisation verfolgt, alles geplant und strukturiert, also verwaltet werden muss. Außerdem habe ich erst an der ZU so richtig begriffen, was mir vorher verborgen war: dass Verwaltung zum Gemeinwohl des Staates und der Gesellschaft beiträgt“, erläutert Bokari.


Seine im Studium erworbenen Verwaltungskenntnisse konnte Lorenz Bokari bei der Gründung von Woé zon loo e.V. in der Praxis anwenden. „Nach meiner Rückkehr aus Togo habe ich gemeinsam mit anderen in dem Waisenhaus tätigen Freiwilligen überlegt, wie wir das Herzstück der NGO International Volontaire en Action (IVA) langfristig unterstützen können. Daraus entstand ein gemeinnütziger Verein, mit dem wir uns auf Augenhöhe mit der lokalen Bevölkerung für faire Bildungschancen und den Zugang zu qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung einsetzen“, schildert Bokari. Das aktuell größte Projekt ist das Stoffbindenprojekt, bei dem Mädchen und Frauen aufgeklärt und aus alten Stoffen leicht waschbare und damit lange Zeit wiederverwendbare Damenbinden produziert werden. Für dieses Projekt wurde der Verein mit dem Engagementpreis 2022 der Studienstiftung des deutschen Volkes ausgezeichnet.


Mitten im Studium packte Lorenz Bokari erneut das Fernweh. Zwei aneinandergereihte Auslandssemester sollten Abhilfe schaffen. Eigentlich wollte er zunächst nach Südkorea, Malaysia oder Myanmar, doch allmählich begann die Corona-Pandemie um sich zu greifen. So blieben Krakau, Prag oder Istanbul. Er entschied sich für ein Semester am Bosporus, wo er Online-Kurse der İstanbul Kültür Üniversitesi in Politik und Internationale Beziehungen belegte. Nach einem zehntägigen Zwischenstopp in Deutschland stieg er in den nächsten Flieger, der ihn nach Bogotá brachte. In der kolumbianischen Hauptstadt lernte er in Online-Kursen des Colegio de Estudios Superiores de Administración mehr über internationale Wirtschaft und Verwaltung. „Obwohl es mir nicht möglich war, das studentische und universitäre Leben mitzuerleben, wollte ich dennoch vor Ort sein, um Land und Leute kennenzulernen und in die jeweilige Kultur einzutauchen“, sagt Bokari.


Mehr noch: Er engagierte sich in Bogotá in einer NGO, die Geflüchtete aus Venezuela unterstützt, und arbeitete als Praktikant in einer Kanzlei, die sich mit Rechtsfällen des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte beschäftigt. Und von Kolumbien reiste er direkt weiter nach Jordanien an die syrische Grenze, um ein Praktikum in der Stadtverwaltung von Irbid zu machen – in einer Abteilung, die für die Kooperation der Stadt mit internationalen, in der Entwicklungszusammenarbeit tätigen Organisationen zuständig ist.


Auch an der ZU war es Lorenz Bokari wichtig, Räume zu schaffen, in denen interkulturelle Begegnungen möglich sind. Als Vorstand der Mentoring Community hat er Studierende mit geflüchteten Schülerinnen und Schülern aus Förderklassen zusammengebracht und gemeinsame Kino- oder Spieleabende organisiert. „In meinen Gesprächen mit jungen Menschen versuche ich, ihnen andere Wege aufzuzeigen. Während sie meist nur daran denken, möglichst schnell einen Schulabschluss zu machen und Geld zu verdienen, sage ich ihnen, dass ein berufsbegleitendes oder ein rein akademisches Studium viel bereichernder sein kann“, berichtet Bokari.


Wie transkulturelle Beziehungen zwischen Staaten funktionieren, hat Lorenz Bokari als Teil einer Transcultural Student Research Group erfahren. Gemeinsam mit weiteren Kommilitoninnen und Kommilitonen begab er sich dabei auf die Spuren der neuen Seidenstraße. „In meiner Bachelorarbeit möchte ich nun untersuchen, inwiefern die neue Seidenstraße die transkulturellen Beziehungen zwischen China und Ostafrika beeinflusst“, erwähnt Bokari, dessen Eltern ihm als Kind die Geschichten von den Abenteuerreisen Marco Polos entlang der Seidenstraße erzählten.


Die nächsten beiden Reisen Lorenz Bokaris führen nach Berlin zum Auswärtigen Amt in die Abteilung „Internationale humanitäre Organisationen und multilaterale Gestaltung der humanitären Hilfe“ und zu einem Master in Public Policy, Human Development oder Migration Studies in den Niederlanden oder in England. „Ich spiele weiterhin mit dem Gedanken, beruflich in die Entwicklungszusammenarbeit einzusteigen, kann mir inzwischen aber auch gut vorstellen, nach dem Master zu promovieren und der Wissenschaft treu zu bleiben“, sagt Bokari.


Lorenz Bokari ist glücklich über die Türen, die sich an der ZU öffneten. „Und doch ist nicht immer alles nach Plan gelaufen. So musste ich mit zahlreichen Absagen umgehen – sei es um Stipendien, sei es um Praktika. Aber die ZU motiviert einen, immer weiterzumachen – und vor allem: die Welle so zu nehmen, wie sie kommt.“

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