01.08.2020

Till Bleif

Till Bleif hat auf seinem bisher 32 Jahre dauernden Lebensweg die eine oder andere Abbiegung genommen und den einen oder anderen Umweg eingeschlagen. Nach Schulabbruch arbeitete er zunächst beim Saarländischen Staatstheater und in einer Fabrik eines bayerischen Maschinenbauers in Lille. Um in Sachen Bildung einiges nachzuholen, machte er das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und studiert nun den SPE-Bachelor an der ZU. Und genau hier fand er einen Ort, um sich im Studium und in der Initiativenarbeit frei zu entfalten, sich zu einer Gründung motivieren zu lassen und um das Thema Digitalisierung aus soziologischer, politischer und ökonomischer Perspektive neu zu entdecken.



Wendungsreich gestaltete sich bereits seine Schullaufbahn. Nach den ersten drei Monaten auf der Grundschule konnte Till Bleif problemlos lesen, schreiben und rechnen. „Nicht nur mir, sondern auch meinen Lehrerinnen und Lehrern kam das mehr als seltsam vor“, erwähnt Bleif. „Einige psychologische Tests später zeigte sich, dass ich hochbegabt bin.“ Ein Wechsel von der ersten in die dritte Klasse war die logische Konsequenz. Das Problem: „Zwar war ich mit dem Stoff weder unterfordert noch überfordert, aber allmählich traten zwischenmenschliche Spannungen zu Tage. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn die Unterschiede zwischen einem sieben- und einem neunjährigen Kind sind gravierender, als man sich das vorstellt.“


Till Bleif wurde zur Zielscheibe für Mitschülerinnen und Mitschülern – besonders im ersten Jahr auf dem Gymnasium, auf das er mit gerade einmal neun Jahren eingeschult wurde. „Außerdem habe ich darunter gelitten, dass meine Begabung nicht entsprechend gefördert wurde. Mit meinem Potential hätte ich viel mehr erreichen können“, ergänzt Bleif. Automatisch schaltete er mehrere Gänge zurück und wechselte nach einem Jahr auf eine katholische Privatschule. Mal mehr, mal weniger Interaktionsprobleme und Leistungsboykotte säumten den Weg. Die Bilanz: vier Gymnasien, drei Klassenwiederholungen, Schulabbruch in der zwölften Klasse.


„Ich musste einfach die Reißleine ziehen und meine Gedanken sortieren, die jahrelang plan- und ziellos umhergeschweift sind“, berichtet Bleif. Halt fand er während seiner gesamten Schulzeit nur bedingt in der eigenen Familie – die Mutter war mit der Situation „verständlicherweise“ überfordert, vom Vater fehlt sogar in der Geburtsurkunde jede Spur –, dafür aber umso mehr im Kampfsport, genauer gesagt im Muay Thai. „Das Besondere an der Sportart ist die Kombination aus traditioneller Kampfkunst, ultimativem Wettkampfsport und realistischer Selbstverteidigung“, sagt Bleif. „Die regelmäßige Teilnahme am Training hat bei mir zumindest für mehr Selbstbewusstsein gesorgt.“


Der erste Gedanken nach dem Schulabbruch drehte sich ausschließlich um die Frage: „Wie komme ich über die Runden?“ Ein erstes Auffangbecken war das Theater. „Das war nur naheliegend, habe ich doch auf den Gymnasien in Theater-AGs mitgespielt“, erläutert Bleif. So machte er sich auf den Weg zu einem Casting beim Saarländischen Staatstheater und hielt nach dem Vorspielen einen Spielzeitvertrag in den Händen. Das Engagement sollte vier Jahre andauern. Dabei schlüpfte er in verschiedene Neben- und Statistenrollen, kümmerte sich aber auch zeitweise um die Technik und das Bühnenbild. „Mit der Zeit hat sich jedoch herausgestellt, dass die romantisch verklärte Theaterwelt auch ihre Schattenseiten hat“, berichtet Bleif.


Der zweite Gedanke nach dem Bühnenabschied drehte sich ausschließlich um die Frage: „Wie komme ich über die Runden und dazu noch ins französischsprachige Ausland?“ Nach etlichen gescheiterten Vorstellungsgesprächen bei regionalen und überregionalen Unternehmen landete er schließlich in einer Fabrikanlage eines bayerischen Maschinenbauers in Lille. Im ersten Gespräch mit dem dortigen Vorgesetzten stellte er lapidar fest: „Ich bin nicht lange in etwas schlecht, und anpacken kann ich auch!“ Diese Einstellung erweckte Eindruck. „Und so habe ich mehrere Monate an der Seite von ausgebildeten Schlossern ein automatisiertes Materialfördersystem für einen großen deutschen Paketdienst zusammengeschraubt“, erzählt Bleif. „Doch die Lebenswelten zwischen den anderen und mir haben mich erschreckt. Während die Kollegen auf Frankreich schimpften und an Land und Leuten desinteressiert waren, nutzte ich jede Sekunde abseits der Arbeit, um das französische Leben in vollen Zügen zu genießen.“


Um sich neue Türen zu öffnen, besuchte Till Bleif das Saarland-Kolleg und machte das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg. „Mindestens genauso wichtig war mir zu jener Zeit, meine eigene Mitte aufzuspüren – und dies ermöglichte mir die chinesische Meditationsform Qigong“, erzählt Bleif. Sowohl Muay Thai als auch Qigong sollten eine Schlüsselrolle bei seiner Reise ins zentralamerikanische Nicaragua einnehmen, wo er nach dem Abitur eine Zeit lang lebte. Dort lernte er nicht nur fließend Spanisch, sondern machte auch Bekanntschaft mit dem nicaraguanischen Taekwondo-Meister Juan Pablo López. „Wir vereinbarten: Während er mir einen Schlafplatz in seiner Wohnung zur Verfügung stellte, sollte ich in seiner Taekwondo-Schule Kinder in Muay Thai und Qigong trainieren“, berichtet Bleif.


Zurückgekehrt nach Deutschland, fasste Till Bleif das Ziel ins Auge, eine neue persönliche und geistige Herausforderung anzugehen: „Und die beste Möglichkeit, sich persönlich und geistig herauszufordern, ist nun einmal ein Studium.“ Ein Mitglied seiner Qigong-Gruppe, der als Job- und Lifecoach arbeitet, machte ihn aufmerksam auf die ZU. „Nach einigen Begegnungen und Gesprächen sagte er zu mir, dass die ZU genau der richtige Ort für mich wäre – und er sollte Recht behalten“, beschreibt Bleif. „Mir ist sofort das Potpourri an dynamischen Menschen ins Auge gefallen“, sagt Bleif. „Genau einen solchen Ort habe ich gesucht, nämlich einen Ort, an dem ich mich frei entfalten und motivieren lassen sowie Neues entdecken kann.“


Frei entfalten konnte er sich nicht nur im Studium, sondern auch und vor allem in der Initiativenarbeit. Gemeinsam mit einem Kommilitonen initiierte und etablierte er Muay Thai im Programm des Hochschulsports. Mit rund 70 Mitgliedern gehört die Kampfsportart mittlerweile zu einer der größten Sportinitiativen an der ZU. Zusammen mit dem Nachwuchswissenschaftler Lukas Törner gründete er zudem die Nachhaltigkeitsinitiative Offen-Zu. „Ein geplantes Projekt sieht vor, in Kooperation mit einer ortsansässigen Stiftung von Menschen mit Behinderung recycelte Kopierabfälle zu Notizblöcken binden zu lassen“, erzählt Bleif. Das Bedürfnis, sich sozial zu engagieren, führte ihn zur Mitgliedschaft und für ein Jahr ins Präsidentenamt beim Rotaract Club Friedrichshafen. So war er regelmäßig als Nikolaus verkleidet auf dem Friedrichshafener Weihnachtsmarkt unterwegs, um mit Kindern ein buntes Rahmenprogramm zu gestalten, oder organisierte und koordinierte den jährlichen Spendenmarathon für die Tafel in Friedrichshafen. Zudem ist er Mitglied der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft Bodensee und setzt sich für interkulturelle Vernetzung und den deutsch-chinesischen Dialog ein.


Zu einer Gründung ließ er sich von seinen Kommilitonen José Torspecken Lobo de Miranda und Paul Dähn motivieren. „Unsere erste Idee, aus Insekten Proteinwürstchen zu machen, scheiterte noch am schlechten Geschmack“, bemerkt Bleif. „Dann ist uns der Gedanke gekommen, uns mit echten Bratwürsten zu beschäftigen und Veranstaltern von Festivals, Konzerten und anderen Events eine Bratwurstbude anzubieten.“ Bis zur Corona-Krise lief das Geschäft der JoTiPa Eventcatering UG wie geschmiert, doch inzwischen ist die Zukunft des Start-ups ungewiss.


Neues entdeckte er im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit dem Thema Digitalisierung aus soziologischer, politischer und ökonomischer Perspektive und der Frage, welche Auswirkungen die digitale Transformation auf Gesellschaften und Individuen, Staaten und internationale Organisationen sowie Unternehmen und Märkte hat. Die letzten Hausarbeiten sind in der Schmiede, anschließend und abschließend geht es an die Bearbeitung der Bachelorarbeit. „So viel kann ich verraten: Darin geht es um das Thema Blockchain“, verrät Bleif.


Was die nächsten Monate bringen werden, lässt sich aufgrund der Corona-Pandemie noch nicht wirklich sagen. Wie wird es mit dem Start-up weitergehen? Und wird im nächsten Jahr zwischen dem Bachelor- und dem geplanten Masterstudium an der ZU eine mehrmonatige Sprachreise nach Russland möglich sein? Denn Till Bleif hat sich als nächstes Ziel für die kommenden zwei Jahre gesteckt, fließend Russisch zu lernen, um neben Englisch, Französisch, Spanisch und Latein seinen Sprachenhorizont kontinuierlich auszuweiten.

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