Cy Twombly und die Kunst zu schwimmen (Hero and Leandro, 1984)
Die Frage nach Inseln ist immer auch, und vielleicht zuerst, eine Frage nach dem Meer; und die Frage nach dem Meer ist immer auch, und vielleicht zuerst, eine Frage nach Wasser, Wellen, Wind. Erreicht man die Insel, so scheint man gerettet, aber auch gestrandet; im Wasser ist man gefährdet, aber auch gelöst.
Der Vortrag wird sich dem Thema „Inseln der Freiheit“ nähern, ohne festes Land zu erreichen – wie Leander, der Hero nicht erreicht und auch gar nicht erreichen kann, weil Schwimmen und Atmen einander so nahe sind wie Warten und Hoffen, weil er sie also im Schwimmen bereits erreicht hat und im Stranden dann nur noch verliert. Schwimmende sind wie Liebende, sehende Blinde, und weil sie es sind, sind sie auf eine so unbegreifliche wie einleuchtende Weise frei – was sich, so ist zu hoffen, an Cy Twomblys vielleicht schönstem Werk zeigen lassen wird: „Hero and Leandro“, einer vierteiligen Tafel aus dem Jahr 1984.
Erreicht der Schwimmer sein Ziel nämlich – das zeigt ein im Jahr darauf (1985) fertiggestelltes ergänzendes Werk, das nun die Widmung und den Hinweis „to Christopher Marlowe“ und dessen Gedichtfragment „Hero and Leander“ trägt –, dann treibt ihn das Verlangen in atemberaubende Aufdringlichkeit. Erstickend, könnte man sagen, ist die Freiheit nicht im Wasser, sondern an Land. Sie ist die Kunst zu schwimmen, ohne zu stranden.