Prof Dr Maren Lehmann | "Dich sehen, wie du mich siehst" oder: Fragmente eines "Menschenbeobachters"
Über die Ringvorlesung:
Naturwissenschaftler bezeichnen das gegenwärtige Erdzeitalter als Anthropozän. Sie verweisen so darauf, dass der Mensch selbst längst zum wichtigsten Einflussfaktor auf die Geologie des Planeten und das gesamte terrestrische Leben geworden ist. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Hybridisierung von Mensch und Technik, Mensch und Maschine und der wachsenden Bedeutung, die unterschiedlichen Formen künstlicher Intelligenz zukommt, wird zugleich auch immer unbestimmter, was mit der Rede von „dem Menschen“ gemeint sein könnte. Wird der Mensch zum Menschen durch spezifische Verhaltensformen und Kompetenzen oder durch die genetische Programmierung des Homo sapiens sapiens? Welche Rolle spielen in diesem Kontext Subjektivität und Individualität? Wie verhält sich die Rede vom Anthropozän zu jener von einem post-humanen Zeitalter?
In Film, Literatur, Musik und der Bildenden Kunst wird die conditio humana oft von ihrer vermeintlichen Rückseite her beleuchtet, ausgehend von dem etwa, was als unmenschlich gilt, als grausam, gewalttätig und schrecklich, als Gegenentwurf also zur humanistischen Vorstellung vom vernunftbegabten Wesen Mensch. So stellt auch der Philosoph Slavoj Žižek in seinem Band „Die politische Suspension des Ethischen“ die Frage nach der conditio humana ausgehend vom Unmenschlichen bzw. ausgehend von dem, was der Mensch nicht ist. Eines seiner Beispiele ist dabei Franz Kafkas Geschichte von Odradek – jener kleinen geheimnisvollen Gestalt, die spricht, lacht, atmet, und im Haus in unregelmäßigen Abständen auftaucht und wieder verschwindet. Sie gibt den Hausbewohnern Rätsel auf, weil unklar ist, ob sie als humanes Wesen zu behandeln ist. Ist sie im gleichen Sinne mit Leben erfüllt? Muss man sie fürchten?
Entlang von Filmen und Romanen, Musikstücken und Kunstwerken orientiert sich die Ringvorlesung „Ökologien des Menschlichen“ an zwei Themenschwerpunkten: Dem Unmenschlichen und der Thematik hybrider Körper und ihrer Identität.
Die Vortragsreihe versteht sich als Auftaktveranstaltung der Ausstellung „Möglichkeit Mensch. Körper | Sphären | Apparaturen“, die am Donnerstag, 28. April 2016 im Zeppelin Museum eröffnet wird. Sie wird gefördert von der Kulturstiftung des Bundes.
Über diesen Vortrag:
Der Beitrag stellt anhand von Johann Caspar Lavaters Physiognomischen Fragmenten zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe (1775-78) die Frage nach der Möglichkeit, sich als Mensch im anderen zu erkennen. Die Umgebung (die Ökologie), in der der Mensch als Mensch möglich ist, ist das Beobachten – denn nur dadurch kann verstanden werden, »wodurch der leidende und handelnde Mensch … seine Person zeigt«. Auf merkwürdige Weise verschmilzt dabei die Seele (anima), die sich – wenn sie erkannt wird – zeigt, mit der Maske (persona), die sie trägt. Deshalb bleibt das Individuum, dessen unverwechselbare Besonderheit gleichwohl nur durch Beobachtung verstanden werden kann, immer unerkannt und unverständlich.
Maren Lehmann ist Inhaberin des Lehrstuhls für Soziologische Theorie an der Zeppelin-Universität.
weitere Termine und Arbeitstitel:
Dienstag, 22. Mrz. 2016 | Prof Dr Lorenz Engell | Stanley Kubrick: 2001
Dienstag, 05. Apr. 2016 | Prof Dr Dieter Thomä | Menschen oder wilde Tiere? Die Armen in Theorie und Literatur des 19. Jahrhunderts
Dienstag, 12. Apr. 2016 | Prof Dr Christiane Voss | Der Leihkörper des Films
Dienstag, 19. Apr. 2016 | Prof Dr Stephan Schmidt-Wulffen | Das choreografierte Ich - Gordon Matta Clark in seinem Werk
Dienstag, 26. Apr. 2016 | Prof Dr Eva Schürmann | Rene Magritte - Hybride Körper
Dienstag, 03. Mai 2016 | abschließende Veranstaltung
Gefördert durch die
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