Dr Joachim Landkammer | Die Komposition als "Opfer der Persönlichkeit" - Atonale Musik ohne Autor?
Nie wurde der Kreativitätsbegriff so inflationär verwendet wie heute; von kreativen Städten, kreativen Industrien, kreativen Klassen und einem allgegenwärtigen Kreativimperativ ist die Rede. Immer mehr Diagnosen besagen, dass wir in einem Zeitalter beinahe zwanghafter Massenkreativität leben. Ein solches Selbstverständnis zieht auch eine andere Perspektive auf die Kunstgeschichte nach sich, denn damit verschiebt sich die Bedeutung, die einzelnen Werken und ihren Schöpfern beigemessen wird. Längst sind Begriffe wie „Meisterschaft“, „Schöpfer“ und „Genie“ suspekt geworden. Meist werden sie einer konservativ-bildungsbürgerlichen Sphäre zugerechnet, die mit den emanzipatorischen Idealen einer pluralistischen Gesellschaft nur schwer vereinbar scheint.
Die Ringvorlesung verfolgt die Frage, wie sich Autorschaft, Subjektivität und Vorgänge der massenhaften Verbreitung zueinander verhalten.
Der amerikanische Maler Phillip Guston bemerkte in einer Diskussion: „Painting and sculpture are very archaic forms. It’s the only thing left in our industrial society where an individual alone can make something with not just his own hands, but brains, imagination, heart maybe.“ Zählt es also auch heute noch zu den entscheidenden gesellschaftlichen Funktionen von Kunst, Subjektivität zu behaupten? Wie stellt sich Subjektivität in historischen Beispielen dar? Wie situieren sich einzelne Werke, die man geneigt ist, als Schlüsselwerke der Kunstgeschichte anzusehen, vor diesem Hintergrund?
Im Rahmen der Ringvorlesung gehen Experten aus den Bereichen Kunst-, Musik-, und Literatur- und Filmwissenschaft ausgehend von einzelnen Werken oder Werkgruppen auf diese Fragen ein.
Joachim Landkammer war nach einem Philosophie-Studium in Genua und einem politikgeschichtlichen Promotionsstudium in Turin an den Universitäten Bamberg, Marburg und Witten/Herdecke als wissenschaftlicher Assistent tätig. Seit 2004 ist er Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität Friedrichshafen, wo er auch die Leitung des artsprogram im Bereich Musik innehat. Seine Forschungsinteressen liegen auf dem Gebiet der praktischen Philosophie, insbes. der Ästhetik.
Der vor allem von den beteiligten Komponisten selbst geführte Musikdiskurs der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, so divergent und differenziert er sich auch darstellen lässt, kreist um die generelle Absage von ("romantischer") Subjektivität. Propagiert wird eine Form von Askese und Reduktion auf das Elementare, die mit den Stichworten Vergeistigung, Sachlichkeit, Reinheit und musikalische Logik kategorisiert wird. Die Kompositionen der Zeit experimentieren mit der Substitution von Variation durch Wiederholung, von Entwicklung durch Ausfaltung, von Melodie durch Form, Klang und Struktur. Durch den Verzicht auf nicht-thematisches Material und auf "freie Noten" soll Subjektivität überwunden und eine Objektivität garantierende Subjektlosigkeit durch "absolute Gegenstandslosigkeit" (J. Hauer) erzielt werden.
Dieser Diskurs wird anhand der Schriften und Äußerungen von Josef Hauer, Stefan Wolpe, Arnold Schönberg und anderen rekonstruiert und mit einschlägigen Musikbeispielen akustisch illustriert.
weitere Termine der Ringvorlesung:
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