Prof Dr Michael Lüthy (Bauhaus Universität, Weimar): Sich zeigen, sich verschließen – Antinomien der Sichtbarkeit in Manets Malerei
Einer der Kampfplätze um Sichtbarkeit war im künstlerischen Paris des 19. Jahrhunderts der offizielle 'Salon'. Dort auszustellen, darauf beharrte auch Edouard Manet, trotz häufiger Zurückweisung durch die Jury. In diesem Rahmen, in dem das einzelne Bild unter den Tausenden von Exponaten unterzugehen drohte, provozierten seine Bilder durch eine besondere Kommunikationsweise mit dem Betrachter: durch eine häufig frontale Stellung der Protagonisten im Bild, die sie den Betrachterblicken vollständig aussetzte, sowie durch einen direkten Blick aus dem Bild.
Doch die 'Begegnung' zwischen Bild und Betrachter koppelte sich mit einem eigentümlichen Entzug - nicht nur, weil es bloß ein Bild war, von dessen Blick man erfaßt wurde, sondern weil der Betrachter erkennen mußte, daß dieser Blick an ihm vorbei- oder durch ihn hindurchging, er nicht der 'Gemeinte' dieses Blicks war.
Auf dem schwankenden Boden einer Zeit, in der das Problem der Kommunikation auf allen Ebenen aufbrach, schuf Manet eine Malerei der prekären, instabilen, immer nur punktuellen Beziehung des Menschen zur Welt. Sehen und Sichtbarkeit kreuzen sich mit ihren Negationen.
Michael Lüthy ist Professor für Geschichte und Theorie der Kunst an der Bauhaus-Universität Weimar. Studium der Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Basel und der FU Berlin, Promotion über Édouard Manet, Habilitation über die Produktivität moderner Kunst im Anschluss an Ludwig Wittgenstein. 2003-2014 Koordinator des SFB „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“ an der FU Berlin, 2010-2014 daselbst auch Professor für Neuere und Neueste Kunstgeschichte.