01.05.2021

Leonie Lindenschmid

Leonie Lindenschmid beschäftigt die Frage, wie strukturelle Diskriminierung überwunden werden kann. Eine Antwort darauf versucht sie in Forschung wie Praxis zu finden. Inzwischen weiß sie, dass es sich um hochgradig komplexe und ineinander verwobene Prozesse handelt, dass Unterdrückung von Intersektionalität geprägt ist. Indes weiß sie aus eigener Erfahrung, wie es ist, scheinbar unüberwindbare Grenzen zu überwinden.

Foto: Nicolas Bühringer


Trotz ihrer psychischer Erkrankung, der damit verbundenen Stigmatisierung und den resultierenden Erschwernissen, aber auch mit dem Ziel vor Augen, später einmal in einer international operierenden NGO wie Ärzte ohne Grenzen oder Amnesty International zu arbeiten, wechselte Leonie Lindenschmid nach der Realschule auf ein Wirtschaftsgymnasium und machte dort das Internationale Abitur in Economics and Business Administration. „Es war eine schwierige Zeit, die mir vor Augen führte, dass Menschen, die aufgrund psychischer und körperlicher Beeinträchtigungen oder gesellschaftlich verankernder Ungleichheiten nicht die volle Leistung wie ihre Mitmenschen erbringen können, in einer Leistungsgesellschaft wie der unseren als nicht gleichwertig angesehen werden“, bemerkt Lindenschmid. „Und mir war klar, dass ich mich gegen jede Form von Ungleichheit und Diskriminierung stark mache, wenn ich selbst nur stark genug bin.“


Voller Elan und Idealismus reiste sie nach dem Abitur nach Sambia, um für die Young Women's Christian Association in Lusaka ehrenamtlich zu arbeiten – eine Organisation, die sich für die Rechte von Frauen einsetzt. Leonie Lindenschmid führte im Beisein von Mitarbeiter*innen (Beratungs-)Gespräche mit Frauen und Mädchen, die Opfer von Missbrauch wurden, aber auch mit Tätern, die resozialisiert werden sollten. „Das Praktikum hat mich darin bestärkt, Menschen im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe zu unterstützen. Auch wenn ich es inzwischen kritisch sehe, wenn junge Menschen aus dem globalen Norden in den globalen Süden gehen und meinen, dort etwas verbessern zu müssen.“


Weiterhin den Wunsch verspürend, in naher Zukunft in einer international agierenden NGO tätig zu sein, bewarb sich Leonie Lindenschmid nach ihrer Rückkehr nach Deutschland auf einen Studienplatz im PAIR-Bachelor an der ZU. „Neben der Möglichkeit, mich interdisziplinär mit politik- und verwaltungswissenschaftlichen Themen näher auseinanderzusetzen, hat mich vor allem die vielfältige Initiativenlandschaft und die familiäre Atmosphäre überzeugt“, erwähnt Lindenschmid.


Mitmenschen eine Stütze zu sein, sich für diskriminierte Personen einzusetzen und in Organisationen die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen: Diese Motive ziehen sich wie ein roter Faden durch das Engagement von Leonie Lindenschmid während ihrer Studienzeit an der ZU. „Weil ich als Erste aus meiner Familie an einer Universität studiere, weiß ich, wie wichtig es ist, Menschen an der Seite zu haben, die einem den Einstieg in die Universität und das Studium erleichtern. Daher wollte ich das Gleiche für andere tun“, erklärt Lindenschmid. Bereits in den ersten Semestern beteiligte sie sich an der Organisation der Einführungswoche für die studentischen Neuankömmlinge und unterstützte im Buddyteam neue Studierende wie Gaststudierende dabei, sich an der ZU ein- und zurechtzufinden. Und nicht nur das: Die Interessen ihres Jahrgangs zu vertreten, das war ihr im ersten Studienjahr möglich als Erstsemestersprecherin; die Entwicklung ihres Studiengangs mitzugestalten, das war ihr im zweiten Studienjahr möglich als stellvertretende Programmschaftssprecherin.


Im Auge behält sie die ganze Zeit über nicht nur ihre eigene mentale Gesundheit, sondern auch die der anderen ZUler*innen. Als Vorstandsmitglied der studentischen Gesundheitsinitiative „ZU First Aid | ZUFA“ organisierte sie gemeinsam mit der Diplom-Psychologin Karin Tauber Vorträge über Themen wie Stressbewältigung und eine Gesprächsrunde, in denen die Teilnehmer*innen über ihre psychischen Belastungen offen sprechen konnten, sowie in Kooperation mit dem DRK Blutspende- und mit der DKMS Typisierungsaktionen.


Als heterosexuelle Verbündete wiederum engagiert sich Leonie Lindenschmid bei der universitären LGBTQIA+-Initiative „queer@ZU“. „Wenn man sich für die Gleichstellung aller Menschen einsetzt, dann finde ich es wichtig, dass man auch versucht, sich in die Gefühle und das Erleben von denjenigen hineinzuversetzen, die nicht der Heteronormativität entsprechen“, erklärt Lindenschmid. Aufmerksamkeit geschaffen für diesen Perspektivenwechsel hat sie auch zusammen mit dem Vorstandsmitglied Joshua Zielbauer in einem Vortrag auf der diesjährigen International Student Research Conference (ISRC), die sie zudem mitorganisiert hat.


„Darüber hinaus wollte ich unbedingt einen Beitrag zur Diversität der Universität leisten“, sagt Lindenschmid. So hat sie versucht, bei der studentischen Forschungskonferenz und bei der wenige Wochen zuvor digital stattfindenden Karrieremesse „ZUtaten“ das Verhältnis der Geschlechter unter den Teilnehmer*innen ausgeglichener zu gestalten. Und sie übernahm in der AG Diversität das Amt der Diversitätsbeauftragten für Studierende mit Kind. „Ich persönlich würde mir für die ZU wünschen, dass sie im Bereich Diversität noch mehr Angebote und Räume schafft, um Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen für ein Studium zu gewinnen“, betont Lindenschmid.


Ebenso engagiert zeigt sich Leonie Lindenschmid bei der Heinrich-Böll-Stiftung, in deren Stipendienprogramm sie aufgenommen wurde. Sie kümmert sich als eine von vier Sprecher*innen um die Anliegen aller Stipendiat*innen der Stiftung und als eine von zwei Diversitätsbeauftragten um Diskriminierungsfälle in der Stiftung. Mit einer weiteren Stipendiatin leitete sie darüber hinaus Wochenendtreffen der AG Internationale Zusammenarbeit, in der sich die Teilnehmer*innen mit der Entwicklungszusammenarbeit kritisch auseinandersetzten. Wie eine Entwicklungszusammenarbeit gelingt, die sich an den realen Bedingungen und Bedürfnissen der einheimischen Bevölkerung orientiert, das konnte Leonie Lindenschmid in einem Praktikum bei der Kindernothilfe erleben.


Im Gegensatz zu den Motiven für ihr Engagement hat sich ihr fachlicher Fokus deutlich gewandelt. Anfangs belegte sie noch Seminare in internationale Beziehungen. „Doch je mehr man sich mit den internationalen Beziehungen beschäftigt, desto öfter kommt man mit komplexen Konstrukten in Berührung, die die globalen Ungleichheiten verdeutlichen“, erläutert Lindenschmid. „Und so habe ich festgestellt, dass mich die sozialwissenschaftliche Perspektive mehr anspricht als die politikwissenschaftliche.“ Daher entschied sie sich bewusst für einen einjährigen Aufenthalt an der University of Cape Town, um möglichst viele Kurse in Postcolonial Studies und Gender Studies zu besuchen. „Dort habe ich viel über die Machtverhältnisse in Frauen- und Bürgerrechtsbewegungen, White Supremacy und den Bias der globalen Wissensproduktion gelernt“, erzählt Lindenschmid.


Eigentlich war vor Ort in Kapstadt ein Praktikum beim Labour Research Service geplant, das aber wegen der sich ausbreitenden Corona-Pandemie ins Virtuelle verschoben werden musste. „Die Organisation fordert die Rechte von erwerbstätigen Menschen in Südafrika ein“, beschreibt Lindenschmid. „Ich habe mich wissenschaftlich damit beschäftigt, wie nicht nur Frauen, sondern auch Lebensrealitäten, die nicht der Heteronormativität zuzuordnen sind, besser in den Arbeitsmarkt integriert werden können.“


Wie hat sich häusliche Gewalt an Frauen und Kindern in der Corona-Pandemie verändert? Was können Staat und Gesellschaft tun, um präventiv gegen diese Form der Gewalt vorzugehen? Diese Fragestellungen untersucht Leonie Lindenschmid in ihrer Bachelorarbeit. Dafür hat sie mit Beschäftigten von Frauenhäusern Interviews geführt. „Viele wünschen sich bereits in den Kindergärten und Schulen die Vermittlung von friedlicher Konfliktlösung und die Ausweitung von (Therapie-)Angeboten, um von Gewalt betroffene Frauen und Kindern besser behandeln, begleiten und betreuen zu können.“


Jetzt heißt es noch, die Bachelorarbeit abzugeben und die Disputation zu bestehen. Dann hat sie einen weiteren großen Schritt auf dem Weg zu ihrem Ziel gemeistert: Sie möchte auch in den nächsten Jahren Forschung betreiben. Inzwischen hat sie die Zusage für einen Master in Gender Studies an der London School of Economics and Political Science erhalten. „In dem Masterstudium möchte ich näher beleuchten, wie Gewalt an Frauen und Mädchen in Krisen- und Kriegsgebieten instrumentalisiert wird, um Bevölkerungsteile zu unterdrücken“, erzählt Lindenschmid. „Ich brenne so sehr für das Thema, dass ich mir eine Promotion nach dem Master sehr gut vorstellen kann.“

Zeit, um zu entscheiden

Diese Webseite verwendet externe Medien, wie z.B. Karten und Videos, und externe Analysewerkzeuge, welche alle dazu genutzt werden können, Daten über Ihr Verhalten zu sammeln. Dabei werden auch Cookies gesetzt. Die Einwilligung zur Nutzung der Cookies & Erweiterungen können Sie jederzeit anpassen bzw. widerrufen.

Eine Erklärung zur Funktionsweise unserer Datenschutzeinstellungen und eine Übersicht zu den verwendeten Analyse-/Marketingwerkzeugen und externen Medien finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.