Organisations- und Gesellschaftstheorie sind an der Vermutung zu messen, dass mit dem Einzug der elektronischen Medien nach der Erfindung und Durchsetzung von Sprache, Schrift und Buchdruck eine weitere Medienepoche der menschlichen Gesellschaft anbricht. Instantaneität des Datenverkehrs, Konnektivität aller menschlichen Aktivitäten, Granularität der Analyse statistischer Daten sind nur drei der Stichworte, die in diesem Zusammenhang zu nennen sind. Nach allem, was man bislang erkennen kann, formatiert sich die Gesellschaft als Netzwerkgesellschaft neu, und ist nicht mehr Vernunft, wie in der Moderne (und wie immer unvollkommen realisiert), sondern Komplexität ihr kultureller Fluchtpunkt. Komplexität soll heißen, dass sich Körper, Geist, Kommunikation, Technik und Gesellschaft in immer neuen Konstellationen zusammensetzen, ohne dass ein anderer Grundgedanke als der ihres ökologischen Zusammenspiels für ihre Synchronisation maßgebend ist. Komplexität heißt, dass keine dieser Einheiten allen anderen zugrundeliegt, sondern jede alle anderen in einem ungebundenen Zusammenspiel voraussetzt.
In dieser Gesellschaft tritt mit der Netzwerkorganisation ein neuer Organisationstyp auf, der der horizontalen Verknüpfung ein ebenso großes Gewicht einräumt wie der vertikalen Kontrolle. Agilität ist das Stichwort der Stunde: die innen organisierte Fähigkeit, sich von außen steuern zu lassen.
Die Seniorprofessur beschäftigt sich mit der soziologischen Systemtheorie, soziologischen Netzwerktheorie und mit dem Formkalkül nach George Spencer-Brown auf der Suche nach den theoretischen Mitteln, die in der Lage sind, die Übersicht über komplexe Lagen und ökologische Kontexte zu behalten. Zielsetzung ist die Entwicklung eines rational ebenso wie intuitiv zugänglichen Instruments, das eine Navigation im Labyrinth ermöglicht. Kann die Soziologie, um Gesellschaft und Organisation verstehen, beschreiben und gestalten zu können, der zunehmend undurchschaubaren Datenverarbeitung durch die Algorithmen der künstlichen Intelligenz etwas entgegensetzen?
Dirk Baecker, promoviert und habilitiert an der Universität Bielefeld im Fach Soziologie, wurde nach Forschungsaufenthalten an der Stanford University, Johns Hopkins University und London School of Economics 1996 auf den Reinhard-Mohn-Lehrstuhl für Unternehmensführung, Wirtschaftsethik und sozialen Wandel an der Universität Witten/Herdecke und 2000 auf den Lehrstuhl für Soziologie der Universität Witten/Herdecke berufen. 2007 folgte er einem Ruf auf den Lehrstuhl für Kulturtheorie und -analyse an der Zeppelin Universität und 2015 einem Ruf auf den Lehrstuhl für Kulturtheorie und Management erneut an der Universität Witten/Herdecke. Dort war er bis 2020 auch Dekan der Fakultät für Kulturreflexion. 2020 bis 2021 war er Seniorprofessor für Soziologie und Management an der Universität Witten/Herdecke und seit 2022 ist er Seniorprofessor für Organisations- und Gesellschaftstheorie an der Zeppelin Universität. Jüngere Buchveröffentlichungen sind 4.0 oder die Lücke die der Rechner lässt (Leipzig: Merve, 2018), Intelligenz, künstlich und komplex (Leipzig: Merve, 2019), Wozu Wirtschaft? (Marburg: Metropolis, 2020), Katjekte (Leipzig: Merve, 2021) und Wozu Universität? (Marburg: Metropolis, 2023).