demnächst / Herbst 2024
aktuell / Frühjahr 2024: Forschungssemester
(Nicht nur) für SPE-Studierende: Es gibt ein gar nicht kleines Soziologiekollegium an der ZU unter dem Dach weiterer Lehrstühle: Franz Schultheis, Richard Münch, Florian Muhle, Udo Göttlich sowie Dirk Baecker und Eva Illouz
Von der Soziologie versprach sich ihr Namensgeber Auguste Comte nicht weniger als eine »endgültige Wissenschaft«: »die Auflösung unserer intellektuellen Anarchie, der wahren Hauptquelle der sittlichen und sodann der politischen Anarchie« (Soziologie, 1842/1923, S. 3). Das Bezugsproblem dieser ultimativen Disziplin sei »Ordnung« - ein Begriff, den er als Problem der Gesellschaft und deren Organisation versteht und in die Differenz von Statik (l'ordre) und Dynamik (le progrès) übersetzt. Laufend durchkreuzten einander eine »verhängnisvolle Tendenz zur ... Auflösung« und eine vielleicht nicht minder verhängnisvolle Tendenz zur »Befestigung der Ordnung« (a.a.O., S. 6 und 7). Es sei die Soziologie selbst, die sich diesem Verhängnis entgegenstemmt.
Als Georg Simmel ein zähes halbes Jahrhundert später eine neue
»Ortsbestimmung« dieser Disziplin und ihres Bezugsproblems vornimmt,
schlägt er vor, sich solchen fatalistischen »Größenwahns« zu enthalten
(vgl. Soziologie, 1908/1992, S. 9 und 31). Er hält am Ordnungsproblem
fest, versteht aber Gesellschaft nicht als notorisch brüchige
Organisation, sondern als »Meer« ineinander verwobener Beziehungen
zwischen Individuen (a.a.O., S. 14). Über diese Individuen selbst könne
man jenseits ihrer immer flüssigen Umgebung nichts wissen. »Das Problem«
der Soziologie liege deshalb nicht in einer Befestigung der sozialen
Ufer, sondern in der Frage, »wie Gesellschaft möglich ist«, wenn sie aus
Elementen besteht, die sie nicht disziplinieren und derer sie nie
sicher sein kann (vgl. a.a.O., S. 42ff.).
Talcott Parsons studiert wenige Jahrzehnte später eigens in Europa,
um diese Unsicherheit als Bestandsproblem verstehen zu lernen. Er
übersetzt das Ordnungsproblem in die Unterscheidung von Struktur und
Prozess, die er als »›structural-functional‹ level of analysis«
bezeichnet und unter dem Namen des sozialen Systems ausarbeitet (The
Social System, 1951, S. vii). Dabei geht es ganz einfach um relational
verknüpfte, kontextualisierte Handlungen. »The problem of order« bleibt
dabei ausdrücklich ein Organisationsproblem, und zwar insbesondere dann,
wenn in sozialen Beziehungen über knappe Güter oder strittige Ziele
verbindlich entschieden werden muss (a.a.O., S. 71, vgl. ch. III). An
die Stelle der fatalen Komplementarität von Auflösung und Befestigung,
wie Comte sie entworfen hatte, tritt damit die sehr zukunftsoffene
Komplementarität von ›action‹ und ›decision‹, von Öffnung und
Schließung. Soziologie, so Parsons, heiße »analyzing the organization
and dynamics of complex social systems« (a.a.O., S. 73).
Aber noch in den 1960er Jahren stellt Niklas Luhmann fest, angesichts einer kaum zu erkennenden »Einheit des Fachs« sei die Soziologie »ziemlich undiszipliniert« (Soziologische Aufklärung 1, 1970, S. 113). Sein Vorschlag läuft darauf hinaus, sowohl Comtes Präferenz für auflösungsresistente Ordnung als auch Parsons' Präferenz für strukturellen Bestand aufzugeben und statt dessen »die Gesamtheit der möglichen Ereignisse« im Kontext der Differenz von »System und Welt« zu beobachten (a.a.O., S. 115). Das Bezugsproblem der Soziologie bleibt die Möglichkeit sozialer Ordnung, die sie unter dem Namen des Systems hinsichtlich der Möglichkeit von Gesellschaft und der Möglichkeit von Organisation untersucht. Aber sie konzipiert dieses Problem jetzt in Form zweier neuer Schlüsselbegriffe: Kontingenz und Komplexität.
Bürokratische Symbiose (2021), in: Peter Plener/Niels Werber/Burkhardt Wolf (Hg.), Das Formular. (AdminiStudies: Formen und Medien der Verwaltung, 1). Stuttgart: Metzler, S. 35-50; Open Access hier.
Am 29. April 2022 fand anlässlich des 10-jährigen Bestehens des
Lehrstuhls für soziologische Theorie am Seemooser Horn ein Alumnitreffen
des Lehrstuhls statt. Zur Feier des „Es klappt nicht" kamen neben etwa 50
Absolvent:innen des Lehrstuhls auch die Mitglieder des ersten Jahrgangs der
Luftschiffkapelle wieder zusammen. (Fotos: Lena Reiner)
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